Zum festen Bestandteil jedes Berlinale-Jahrgangs gehören düstere Politdramen aus dem Iran. Im Wettbewerb ist diesmal A Ballad of the White Cow/Ghasideyeh gave sefid des Regie-Duos Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam vertreten. Letztere spielt auch die Hauptrolle der Mina, einer Witwe mit gehörloser Tochter, die nach einem Fehlurteil selbstbewusst ihre Rechte einfordert und sich in einigen Szenen demonstrativ schminkt.
Sanaeeha und Moghaddam erzählen eine Schuld- und Sühne-Geschichte: Reza, einen der Richter, die Minas Mann vor einem Jahr zu Unrecht zum Tod verurteilten, plagt das schlechte Gewissen. Er quittiert den Dienst, nimmt Schikanen der Staatsmacht in Kauf und kümmert sich ausgiebig um die Witwe und ihr Kind, spielt dabei aber nicht mit offenen Karten, sondern gibt sich als Freund des Toten aus.
Dieses bedrückende iranische Drama ist kein schlechter Film, aber „Ballad of the White Cow“ ist klassisches Festival-Kino: schnörkellos und politisch ambitioniert, dabei jedoch etwas zu plakativ und vorhersehbar.
Mit galligem Humor beschreibt der zweite iranische Film „District Terminal/Mantagheye payani“ die Lage in diesem Land: Junkie-Poet Peyman (gespielt von Bardia Yadegari, der gemeinsam mit Ehsan Mirhosseini auch das Drehbuch geschrieben hat und Regie führt) leidet unter der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit und ringt mit der Zensur-Behörde um die Veröffentlichung seines Roman-Manuskripts. Dieser Versuch ist jedoch zum Scheitern verurteilt: Teheran ist in dieser dystopischen Vision ein unbewohnbarer Ort, verwüstet vom Klimawandel, heimgesucht von einer Pandemie und abgeriegelt von Quarantäne-Wächtern.
Wenn Peyman nicht gerade an seinem Roman schreibt oder auf einem Trip ist, springt er ebenso rastlos wie die elliptische Erzählstruktur dieses Films zwischen seinen Freunden und Bekannten hin und her, die den Iran jedoch nach und nach verlassen, während der Strohhalm, an den sich der drogensüchtige Dichter klammerte, am Ende endgültig bricht: die Frau, die ihm Hoffnungen machte, ihm ein Visum für die USA zu ermöglichen, stößt ihn vor den Kopf und will nichts mehr mit ihm zu tun haben.
Yadegari und Mirhosseini, die beide auch im Bären-Gewinner-Film des vergangenen Jahres mitgespielt haben, überraschen mit einem sarkastischen, assoziativen Film in der Sektion „Encounters“, die sich experimentelleren und avantgardischeren Erzählweisen verschrieben hat.
Um Verrat, Täuschung und Illusionen in der Liebe kreisen die drei Miniaturen im japanischen Wettbewerbs-Film „Wheel of Fortune and Fantasy/Guzen to sozo“ von Ryusuke Hamaguchi. Er folgt dabei dem Erzählprinzip von Kurzgeschichten, so dass jede der drei Szenen mehrere unerwartete Wendungen nimmt.
In den ersten beiden Geschichten, die klassische Dreiecks-Konstellationen beleuchten, funktioniert dies nicht so recht: elegisch plätschern sie dahin, kaum ein Klischee wird ausgelassen, in manchen Momenten der ersten Episode wirkt der Film sogar wie die Karikatur eines Hong Sangsoo-Films. Erst im letzten Teil beweist Hamaguchi, der 2015 mit „Happy Hour“ in Locarno und 2018 mit „Asako I & II“ in Cannes eingeladen war, seine Meisterschaft: aus der Zufallsbegegnung von zwei Frauen auf der Rolltreppe am S-Bahnhof wird ein raffiniertes Spiel um lesbisches Begehren, verdrängte Wünsche und täuschende Erinnerungen. Dieses Ende entschädigt für manche Längen der ersten beiden Episoden.
Außer Konkurrenz als Berlinale Special läuft der melodramatische Polit-Thriller „Je suis Karl“ von Christian Schwochow. Von dieser streckenweise zu klischee- und kolportagehaft geratenen TV-Co-Produktion bleibt vor allem Jannis Niewöhner in Erinnerung: er verkörpert den zynischen, smarten Anführer einer fiktiven Jugendbewegung, die ähnlich wie die Identitären gekonnt auf der Social Media-Klaviatur spielt.
Er instrumentalisiert Maxi (Luna Wedler), die bei einem Bomben-Anschlag in Berlin-Friedrichshain ihre Brüder und ihre Mutter verloren hat, und durch seinen Charme geködert wird, auf Kundgebungen mit ihren autobiographischen Erlebnissen Ängste und Ressentiments gegen Zuwanderung zu schüren, bis der Mob schließlich Minderheiten durch europäische Städte jagt.
Vorschaubild: Luna Wedler und Jannis Niewöhner in „Je suis Karl“, © Sammy Hart / Pandora Film