Schleifpunkt

Die Uraufführung von „Schleifpunkt“, das Maria Ursprung im Rahmen der szenischen Schreibwerkstatt DRAMENPROZESSOR 18/19 schrieb, stand unter keinem guten Stern. Ihr Text war einer von drei Gewinnern, die bei den Autorentheatertagen des Deutschen Theaters Berlin präsentiert werden sollte. Im Juni wagten sich jedoch erst langsam die Theater wieder aus dem Lockdown, das Festival musste verschoben werden. Im Oktober war die Inszenierung von Marie Bues und dem Schauspiel Graz bereits fertig geprobt, aber die zweite Corona-Welle nahm Fahrt auf und eine Infektion im Grazer Team führte wenige Stunden vor der Premiere zur Absage.

Mittlerweile sind wir in der dritten Corona-Welle angelangt. Seit Monaten sind die Bühnen geschlossen, die Perspektiven weiter ungewiss. Das Theater Sankt Gallen, das Theater Marie, das Theater Winkelwiese Zürich und die Bühne Aarau beschlossen deshalb, Olivier Kellers „Schleifpunkt“-Inszenierung gleich im Netz zu produzieren.

Betont minimalistisch ist der Stil des 75minütigen Hybrids aus Theaterfilm und Hörspiel: als digitale szenische Lesung könnte man die „Schleifpunkt“-Co-Produktion der vier Schweizer Bühnen bezeichnen. Sie konzentriert sich ganz auf den Text von Maria Ursprung, ein klassisches psychologisches Kammerspiel über eine geheimnisvolle Frau, die nur Sie genannt wird (Judith Cuénod) und nach einem Unfall ins Leben der Fahrlehrerin Renate (Diana Dengler) und ihrer Tochter (Tabea Buser) tritt.

Anders als die derzeit angesagten Textflächen erzählt „Schleifpunkt“ sehr klassisch im Stil von Hitchcock, wie die Figuren versuchen, sich mit Lügen hinters Licht zu führen und Bündnisse zu schließen. Sie rätseln über ihre Motive und spielen sich in dem dialoglastigen Stück mit Halbwahrheiten gegeneinander aus.

Nach diesem unter Lockdown-Bedingungen produzierten und szenisch sehr sparsamen Stream wäre es sehr interessant zu erfahren, mit welchen theatralen Mitteln Marie Bues in ihrer mehrfach verschobenen Uraufführungs-Inszenierung vom „Schleifpunkt“ erzählen wollte.

Bild: Jos Schmid

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert