Was der Butler sah

Herausragendes leisteten an diesem Abend vor allem die Kostüm- und Maskenbildner*innen: Juliane Köhler (Psychiater Dr. Prentice) und Charlotte Schwab (Gutachter Dr. Rance), Grandes Dames des Residenztheater-Ensembles, sind kaum wiederzuerkennen, wenn sie als alte Männer, die ihre Notgeilheit zwischen wissenschaftlichen Phrasen und psychoanalytisch-freudianischem Fachjargon verstecken. Nicht weniger eindrucksvoll sind Kostüm und Make-Up von Florian von Manteuffel als exzentrisch-nymphomanische, langbeinige Psychiater-Gattin mit Schmollmund und Christian Erdt, der als Geraldine Barclay jedes Klischee der naiv-unschuldigen, blonden, großbusigen Sekretärin erfüllt.

Regisseur Bastian Kraft hat konsequent alle Rollen in der nur noch selten gespielten, posthum 1969 uraufgeführten Boulevard-Parodie „Was der Butler sah“ cross-gender besetzt. Im Lauf der 90 Minuten sorgen ein erpresserischer Hotel-Page (Antonia Münchow) und ein Scotland Yard-Sergeant (Cathrin Störmer) für weitere Verwicklungen. Die Türen klappern in Wolfgang Menardis Bühnen-Setting wie im Ohnsorg- oder Bauerntheater, immer tiefer versinken Dr. Prentice und seine Frau in einem Strudel aus Peinlichkeiten und polizeilichen Ermittlungen, die vornehme Fassade des Akademiker-Haushalts ist früh dahin.

Christian Erdt, Juliane Köhler, Cathrin Störmer; Bild: Birgit Hupfeld

Joe Orton, das viel zu früh verstorbene Enfant terrible der britischen Theaterszene parodiert die Boulevard-Komödien und ihre Verklemmtheiten. In seiner temporeichen Persiflage auf eine Farce lässt er sich voll auf das Genre ein und überspitzt jede Szene, bis auch dem letzten Zuschauer überdeutlich wird, wie fragwürdig und zeitabhängig die Normen sind, in denen sich das sexbesessene, promiskuitive Figuren-Personal dieses Abends verheddert. Bastian Kraft dreht die Schraube noch weiter. In der radikal künstlichen Welt dieses Irrenhauses „voller Klischees und greller Unwahrscheinlichkeiten“ (Bastian Kraft in seinem Programmheft-Essay „Das ist doch (nicht) normal“) wird die Travestie zum Leitmotiv. Unter all den üppigen Fake-Brüsten und Riesen-Umschnall-Dildos klafft der Abgrund.

„Was der Butler sah“ ist nicht so metatheatral-verkopft wie Krafts Resi-Debüt „Lulu“ (2019) an selber Stelle, bei dem Köhler und Schwab auch schon als Cross-Dresser auftraten. Der Abend lebt von der tollen Vorlage, die der designierte Volksbühnen-Intendant René Pollesch glänzend übersetzt hat: in distinguiertem Ton verhandeln die Figuren ihre Geilheit. Genauso wichtig sind das hervorragende Ensemble mit einer A-Promi-Besetzung für die kleine Marstall-Bühne. Lesenswert ist neben dem schon erwähnten, sehr persönlichen Text des Regisseurs auch der Programmheft-Auszug „An das Ancien Regime der Sexualität“ aus Paul A. Preciados neuem Buch „Ein Apartment auf dem Uranus. Chroniken eines Übergangs“.

Vorschaubild: Wolfgang Menardi

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