Giovanni. Eine Passion

Im monatelangen Lockdown-Stillstand wurde viel darüber spekuliert, wie die Theater den Sommer des Aufatmens wohl nutzen werden. Manche träumten von einer Entschleunigung und einer Konzentration auf das Wesentliche, andere erhofften sich mehr Experimentierfreude und Freiräume.

Tatsächlich sorgte der Premierenstau dafür, dass die meisten Häuser damit beschäftigt waren, ihre lange verabredeten Produktionen auf die Spur zu bringen und wie am Fließband aneinanderzureihen: die altbekannten Namen mit ihren ebenso altbekannten Ästhetiken dominieren. Je drei Inszenierungen von Ersan Mondtag und Frank Castorf, René Pollesch bringt es sogar auf vier in nur wenigen Monaten. Der Nachwuchs schreit auf, wo da überhaupt noch Raum für die jungen Absolventinnen und Absolventen bleibt.

Um so mehr fallen die Häuser auf, die etwas riskieren und mit ungewöhnlichen Inszenierungen überraschen. Das Deutsche Theater startete schon im verregnet-kalten Mai mit einer Molière-Überschreibung, die aus plattem Text eine erstaunlich vitale Sommertheater-Komödie auf dem Vorplatz herauskitzelte.

Ein Highlight der kurzen Open Air-Saison ist auch die Musik-Performance „Giovanni. Eine Passion“, die Ulrike Schwab und Juri de Marco mit seinem STEGREIF. Orchester auf dem St. Jacobi-Friedhof an der Hermannstraße aufführen. In dieser unwirtlichen Gegend direkt an der Ausfallstraße, die den Hermannplatz mit den Vorort-Siedlungen im Südosten verbindet, würde man einen solch interessanten Spielort gar nicht vermuten.

In einer sakralen Prozession mit mehreren Zwischenstopps wird das Publikum durch die einbrechende Dunkelheit zu einer kleinen Arena geführt. Das Best-of der Mozart-Arien mischt sich an diesem anderthalb Stunden kurzen Abend mit viel Lust an der Improvisation, für die schon der Name des STEGREIF. Orchesters steht, und mit ironischen Ausflügen in den Jazz, den Flamenco, den Schlager und Songs von Marlene Dietrich.

Bild: Matthias Heyde

„Giovanni. Eine Passion“ wird zum karnevalistischen Tanz über den Friedhof. Das Ensemble spielt mit den Motiven der berühmten Oper und dem Mythos des toxischen Liebhabers, der die Frauen verschlingt. Die Musik-Theater-Performance ist eine sehenswerte und überraschende Annäherung an ihren Stoff. Vor allem in der ersten halben Stunde beim Parcours über den Friedhof gelingt es dem Team glänzend, eine Inszenierung, die im Oktober 2019 in der Neuköllner Oper an der Karl-Marx-Straße lief, für die Open Air-Bühne weiterzuentwickeln.

Vorschaubild: Pia Dederichs

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