Lamb

In den Nischen des Arthouse-Kinos gelang dem Isländer Valdimar Jóhannsson ein bemerkenswerter Debütfilm: vor der eindrucksvollen, nebelverhangenen Landschaftskulisse entfaltet sich eine Mystery-Tragikomödie mit finalem Racheakt.

Äußerst wortkarg und mit demonstrativer Langsamkeit erzählt Jóhannson seine Geschichte: das Publikum erlebt den Arbeitsalltag von Maria (Noomi Rapace, die in Hollywood Karriere machte und eine sehr ungewöhnliche Besetzung für eine auf den ersten Blick so unscheinbare, kleine Produktion ist) und Ingvar (Hilmir Snær Guðnason), die sich auf ihrem abgelegenen Bauernhof um ihre Schafe kümmern. Eine stille Trauer liegt von Beginn über dem Paar, sie haben offensichtlich ihre Tochter verloren.

An diesem Punkt setzt die zentrale Idee des Drehbuchs an, das Jóhannson gemeinsam mit Sjón schrieb, der vor zwanzig Jahren durch seine Songtexte für den isländischen Popstar Björk bekannt wurde: als ein Lamm als Chimäre aus Mensch und Schaf auf die Wekt kommt, beschließen Maria und Ingvar in wortlosem Einvernehmen, das ungewöhnliche Wesen aus dem Stall in ihr Haus zu holen. Sie verwöhnen es wie ihre verlorene Tochter, nennen es Ada, ziehen ihm einen Pullover an, kuscheln mit ihm und setzen sich mit ihm an den Esstisch.

Die Selbstverständlichkeit, mit der das Bauern-Paar das mythische Mischwesen als ihr Ziehkind in die kleine Familie aufnehmen, wird vom Onkel Pétur (Björn Hlynur Haraldsson), einem gescheiterten Musiker, der in den Tag hineinlebt, immer wieder in Frage stellen. Maria und Ingvar lassen alle Fragen und Vorwürfe an sich abprallen. Nur Ada selbst scheint mit melancholischem Lämmerblick Zweifel an ihrer Identität zu entwickeln, wenn sie in den stärksten Szenen des Films in den Spiegel blickt oder vor dem Haus auf ihr Mutterschaf trifft, das dort immer wieder aufkreuzt.

„Lamb“ ist kein Film, der auf starke Effekte oder gar Horror setzt, sondern ein stiller Arthouse-Mystery-Film, der visuell eindrucksvoll interessante Fragen zum Verhältnis zwischen Mensch und Natur aufwirft und mit einem überraschend spektakulären Finale aufwartet, bei dem die Natur zurückschlägt.

Wie das thematisch sehr ähnliche Fantasy-Mystery-Drama „Border“ im Jahr 2018 hatte auch „Lamb“ im Sommer 2021 seine Premiere in der Sektion „Un certain regard“ in Cannes. Dort wurde das Debüt mit dem Preis für Originalität ausgezeichnet. Kurz vor dem Kinostart in Deutschland am 6. Januar 2022 gewann „Lamb“ auch einen Europäischen Filmpreis für die visuellen Effekte von Peter Hjorth und Fredrik Nord. Island schickt den Film auch ins Oscar-Rennen für das beste fremdsprachige Werk, dort schaffte er es aber mit Außenseiter-Chancen nicht auf die Shortlist.

Bilder: Koch Films

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert