Gehetzt wie ein scheues Reh, ständig im Visier der Boulevardpresse, die in Großbritannien reißerischer und gnadenloser war als auf dem Kontinent, und eingezwängt in das starre Korsett jahrhundetealter höfischer Regeln: dies ist eine Facette der schillernden Persönlichkeit von Lady Diana, der Princess of Wales. Sie war eine der meistfotografierten Frauen ihrer Zeit, eine Pop-Ikone der 1980er und 1990er Jahre, anfangs mit den Medien kokettierend, später häufig auf der Flucht vor den Paparazzi bis zu ihrem Unfall-Tod in einer Pariser Spätsommernacht 1997.
Auf die Einsamkeit dieser Frau, die sich in dem goldenen Käfig der britischen Royals nach einem Jahrzehnt ihrer Ehe mit Prince Charles immer unwohler fühlt, fokussiert sich der chilenische Filmemacher Pablo Larraín. Seit seinem Missbrauchs-Drama „El Club“ (2015 auf der Berlinale) zählt er zu den Stammgästen der großen Kino-Festivals, mit „Spencer“ war er bereits zum 4. Mal in Venedig eingeladen.
Zwei Stunden folgt die Kamera von Claire Mathon der Hauptfigur durch die langen Flure und dunklen Korridore von Schloss Sandringham: auf ein langes Weihnachtswochenende 1991 hat Larraín seinen Film fokussiert. „Spencer“ ist weniger ein Biopic als ein hochkonzentriertes Kammerspiel, das auf die Verzweiflung einer Frau heranzoomt, die an ihrer öffentlichen Rolle und den Erwartungen erstickt. Kristen Stewart, die vor knapp einem Jahrzehnt mit Goldenen Himbeeren für ihre Vampir-Schmonzetten geschmäht wurde, hat sich zu einer gefragten Charakterdarstellerin entwickelt, die diesen Film trägt. Es ist beeindruckend, wie Stewart bis in kleinste Nuancen die Gesten und die Haltung von Diana mit hochgezogenen Schultern nachahmt und diese Persönlichkeit der Zeitgeschichte verkörpert. Neben Lady Gaga als Strippenzieherin und Mörderin im „House of Gucci“ ist die Diana-Rolle von Kristen Stewart eine herausragende Schauspielleistung dieses Kinojahres. Ihr Auftritt wäre absolut Oscar-würdig, sie konnte sich aber nicht gegen Jessica Chastain („The Eyes of Tammy Faye“) durchsetzen. Schon beim Golden Globe ging sie leer aus, hier musste sie Nicole Kidman in „Being Ricardos“ den Vortritt lassen.
Aber nicht nur bei der Hauptfigur und ihren originalgetreu opulenten Roben legte Regisseur Larraín Wert auf die kleinsten Details. Aus vielen Mosaiksteinchen setzt sich dieses Bild einer Verzweifelten zusammen. Leitmotivisch kehren Dianas einsame Gänge über den Flur wieder, untermalt von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood, der zuletzt auch für den Soundtrack zu „The Power of the Dog“ verantwortlich war. In einer der eindrucksvollsten Szenen des Films lässt Diana die Perlenkette in ihren Suppenteller gleiten, löffelt im Kreis der Familie stoisch weiter, in der Grabesstille ist nur das laute Knirschen und Knacken zu hören, mit dem Diana die Perlen zerbeißt. In der nächsten Einstellung sehen wir Diana über die Kloschüssel gebeugt: die Perlenkette ist intakt und liegt um ihren Hals, sie kotzt die Reste der Mahlzeit aus. Hier zeigt sich ein Bauprinzip des Films: Realität und Traum, Wirklichkeit und Wahn verschwimmen bis zur Befreiung der Hauptfigur.
Manche Facette dieses Psychogramms der Lady Diana winkt zu sehr mit dem Zaunpfahl. Die häufigen Klagen von Diana und ihren Söhnen William und Harry, wie kalt es in dem Schloss ist, beziehen sich natürlich nicht nur auf die Temperatur, sondern vor allem auf die Gefühlskälte im Windsor-Clan. Dianas Mann Charles (gespielt von Jack Farthing) und der Major, der Paparazzi auf Distanz halten soll (Timothy Spall), schärfen ihr ein, stoisch ihre Rolle zu spielen und ihr wahres Ich hinter der glamourösen Fassade abzuschotten.
Eine Schwäche des Films hat Susanne Mayer in ihrer ZEIT-Kritik auf den Punkt gebracht. Larraín stürzt sich auf eine einzige, sicher wichtige Facette von Dianas Persönlichkeit: „Von den vielen Narrativen, die sich um ihr Leben ranken, hat Larraín nur einen Faden herausgezogen: die Geschichte einer verletzten Seele.“ Dies pinselt Larraín zwar meisterhaft aus, aber dennoch gerät das Diana-Bild dadurch zu eindimensional: „Warum darf sie nicht die Kokette sein? Die schon für Paps’ Kamera posierte? Die mit Travolta tanzte? Die Intrigantin? Der Feger aus Kensington, Toy Boys im Schlepptau? Die toughe Lady, die auf Charity-Reisen durch Minenfelder stiefelt? Die sich im Club die straffe Silhouette antrainiert, die Frau, die wir auf der Jacht ihres Lovers Dodi bewunderten?“ Die Nebenfiguren sind schließlich fast nur Karikaturen, allein Zofe Maggie (Sally Hawkins) gestatteten Regisseur Larraín und sein Drehbuchautor Steven Knight, dass sie ein paar menschlich-sympathische Züge tragen darf. Maggie ist Dianas Lichtblick in diesem Zwangskorsett und ihre heimlich lesbische Verehrerin.
Bei der Premiere im Wettbewerb von Venedig blieb „Spencer“ zwar ohne Preis, lief aber seitdem auf diversen intrernationalen Festivals wie in Telluride, Zürich und Wien und zum Abschluss der cineastischen Reise „Around the World in 14 films“ im Dezember 2021 in der Kulturbrauerei. Am 13. Januar 2022 starte „Spencer“ in den deutschen Kinos.
Bilder: Pablo Larraín, DCM
Dr. Barbara Riccabona
Naja, die Kritik betreffend der einseitigen Darstellung von Diana ist zwar berechtigt von einer gewissen Sichtweise aus, aber ich denke, dass Pablo Larrain eben nur drei Tage im Leben seiner Protagonistin erzählt. Er hat sich auf diese drei Tage konzentriert, ist Künstler und nicht Historiker, er hat alle künstlerische Freiheit, muss sich nicht an Tatsächliches halten. Von diesem Aspekt aus ist seine Regievorstellung meiner Meinung nach genial. Abgesehen von der Schönheit der Bilder, die oft wie Gemälde wirken, habe ich persönlich die Handlung auch spannend erlebt, und die langen Einstellungen passend zu der tödlichen Langeweile in dieser Familie empfunden. Freundliche Grüße Barbara