Mitten in der Omicron-Welle eröffnet die Berlinale tatsächlich vor Publikum. Aus der tristen, verregneten Realität mit Masken und Abstand träumt sich das Festival gemeinsam mit Francois Ozon, der bereits zum 6. Mal in den Wettbewerb um den Goldenen Bären eingeladen ist, zurück in die 1970er Jahre.
Rainer Werner Fassbinder, der Regie-Berserker des deutschen Kinos in jenem Jahrzehnt, ist ein erklärtes Vorbild von Ozon. Schon bei seinem Berlinale-Debüt verfilmte der Franzose mit „Tropfen auf heiße Steine“ (2000) einen Fassbinder-Stoff. Diesmal stellt er „Peter von Kant“ vor, eine Übermalung von Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, das als Theaterstück bis heute zum Repertoire großer Bühnen gehört und als Filmversion bei der Berlinale 1972, damals noch im Sommer, Premiere feierte.
Ozons Kunstgriff ist, dass er aus der lesbischen Mode-Designerin Petra von Kant einen schwulen Regisseur macht, der deutliche Züge von Fassbinder trägt. Eine sehr gute Wahl traf Ozon mit seinem Hauptdarsteller: Denis Mélenchon hat in dieser Rolle eine frappierende Ähnlichkeit mit Fassbinder. Zwischen Größenwahn und Selbstmitleid suhlt er sich in seiner Wohnung und quält seinen Sekretär und Hausangestellten (Stefan Crepon), den er demütigt und herumkommandiert. Neue Lebensgeister weckt das plötzliche Auftauchen eines Toyboys. Auch hier hat Ozon ein sehr glückliches Casting-Händchen bewiesen: Khalil Gharbia ist ein strahlend schönes, noch weithin unbekanntes Gesicht. Bisher hat er nur einen schwedischen Kurzfilm und eine TV-Serie vorzuweisen, für den polyamourösen Amir, der mit Männern und Frauen gleichermaßen spielt und seine Reize für die Karriere einsetzt, ist Gharbia eine glänzende Besetzung.
Aber auch die Nebenrollen sind klug ausgewählt: Isabelle Adjani spielt selbstironisch die Karikatur einer französischen Filmdiva. Als Sidonie brachte sie einige komische Momente in den Film und den erwünschten Glamour auf den roten Teppich der Eröffnungsfeier. Hanna Schygulla, die in „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ die junge Verfüherin war, hat einen kleinen Auftritt als Peter von Kants Mutter: Tief verbeugt sich Ozon vor Fassbinder und seiner Film-Familie, im Abspann sehen wir ein Schwarz-Weiß-Foto von Fassbinder und Schygulla.
Cineastisch ist „Peter von Kant“ kein Meilenstein, dafür bleibt Ozon auch viel zu nah an seinem Vorbild. Ihm gelang aber ein solider Eröffnungsfilm, der zum Festival-Auftakt eine liebevolle Hommage mit an Rainer Werner Fassbinder bietet. Die zentralen Fragen dieses Films, der Macht- und Abhängigkeitsstrukturen in der Kinobranche ausleuchtete, sind in Zeiten von #metoo auch fünfzig Jahre nach der Premiere von „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ noch sehr aktuell. Peter und Amir nennen es Liebe: der Ältere giert nach dem schönen Körper und winkt mit Karrierechancen, wenn Amir im Bett und auf der Besetzungscouch gut performt, der Jüngere setzt sein wichtigstes Kapital sehr bewusst ein, lässt Peter aber in seiner Verzweiflung allein zurück, als er die ersten Stufen der Karriere genommen hat.
Bild: © C. Bethuel / FOZ