Zwei Jahrzehnte liegen 9/11 und der anschließende „imperial overstretch“ der Bush-Administration bereits zurück, den Schock und die Furcht nutzten einige Ideologen und Hardliner für ihren kompromisslosen „war on terror“: von Guantánamo bis Abi Ghraib wurden rechtsstaatliche Normen strapaziert oder ganz außer Kraft gesetzt.
Rainald Goetz veröffentlichte 2020 sein Stück „Reich des Todes“, einen der klügsten Texte, die in jüngerer Zeit für das Theater geschrieben wurden und dem man seinen jahrelangen Reifeprozess anmerkt. Präzise schildert er Debatten und Diskurslinien in der damaligen Administration, die Akteure tragen fiktive preußische Namen, sind aber unschwer als Rumsfeld, Cheney oder Rice erkennbar.
Ein Jahr nach der monumentalen Hamburger Uraufführung von Karin Beier, die als eine der besten Inszenierungen aus den Pandemie-Monaten zum Theatertreffen 2021 eingeladen wurde, inszenierte Stefan Bachmann, Intendant des Schauspiels Köln, das Stück als Koproduktion mit dem benachbarten Schauspielhaus Düsseldorf. Diese Inszenierung wurde ebenfalls in die Hauptstadt eingeladen, allerdings nicht zum Theatertreffen im Mai, sondern zu den Autorentheatertagen des DT Berlin im Juni 2022.
Alle Rollen in diesem Stück über Macht, Demütigung und sexuelle Unterwerfung hat er mit Frauen aus den beiden Ensembles besetzt. In einem Labyrinth aus Gitterstäben, das Olaf Altmann entwarf, setzen die Spielerinnen zu einem hochkonzentrierten Sprechgesang an, der von einem vierköpfigen Live-Musik-Orchester begleitet wird.
Mit klug gesetzten Strichen führt Bachmann durch den Goetz-Text: von der Perspektive der Schreibtisch-Täter, die die rechtlichen Winkelzüge ausheckten, mit denen Folterverbot und weitere Normen des humanitären Völkerrechts ausgehebelt werden, wechselt er zur Perspektive der Täter*innen um Lynndie England, deren sadististisches Grinsen auf den Abu Ghraib-Fotos um die Welt ging. In der stärksten Passage des Abends zoomt die Inszenierung auf die Perspektive der Opfer. Das Grauen wird hier nicht aus- oder szenisch nachgestellt, in den beklemmenden Reflexionen jedoch sehr deutlich. Die gesamte Inszenierung ist deutlich zurückgenommener, weniger revuehaft und explizit als die Hamburger Uraufführung.
Überfrachtet wird der knapp 2,5stündige Abend durch das stakkatoartige, das Publikum stark fordernde Solo, mit dem Melanie Kretschmann den Abend beendet. Hier entschied sich Karin Beier mit einem orchestralen Klanggewitter ihres Ensembles für die eindrucksvollere Lösung.
Zum Theatertreffen wurde diese zweite Aufführung von „Reich des Todes“ leider nicht, überregional konnte man diese gelungene Inszenierung dennoch sehen, da sie von Nachtkritik in der neuen Reihe „Stream des Monats“ angeboten wurde.
Bild: Thomas Rabsch