The Köln Concert

Divenhaft breitet Trajal Harrell, einer von acht Hausregisseur*innen am Schauspielhaus Zürich, die Arme aus und lässt sich von den Klängen der kanadischen Songwriterin Joni Mitchell treiben. Zu ihrem Klassiker „Both Sides“ und weiteren Werken kommt nach und nach sein gesamtes sechsköpfiges Ensemble auf die Bühne. Die Kostüme werden immer extravaganter, Drag-Opulenz in Pelz und Glitzer steht neben Alltagsklamotten, die spielerisch eingebunden und genauso selbstbewusst und sinnlich präsentiert werden.

Mit diesem Intro stellten sich Harrell und sein Team im Pfauen, dem gutbürgerlichen Schmuckkästchen am Zürichsee, zu Beginn der Spielzeit 2020/21 vor, nachdem die Eröffnungsspielzeit des neuen Intendanten-Duos Nicolas Stemann/Benjamin von Blomberg vom Lockdown schon nach der ersten Hälfte jäh unterbrochen worden war. Eindrucksvoll ist der Diven-Auftritt auch im HAU 1 im links-alternativen Kreuzberg, aber wie viel stärker muss diese Eröffnung als künstlerisches Statement für die Suche nach neuen Formen nach der Intendanz von Barbara Frey auf das Zürcher Abo-Publikum gewirkt haben.

Kerzengerade sitzt das Ensemble nun auf den Stühlen, peinlich achten sie auf den Corona-Abstand, der zwischen den beiden Lockdowns im Spätsommer 2020 jede Aufführung prägte. Nach einander performt jede und jeder ein Solo: Ganz in schwarz, virtuos torkelnd und taumelnd, als Sinnbilder einer verunsicherten Gesellschaft. Zum Jazz-Klassiker „The Köln Concert“ verkörpern sie viel Schmerz und Trauer, über die Wangen von Thibault Lac kullern am Ende auch Tränen. Zugleich strahlen ihre selbstbewusst präsentierten Körper aber auch eine Aufbruchstimmung und Energie für einen Neuanfang aus.

Da diese Choreographie das damalige Zeitgefühl so spannend aufgreift, stand sie als eine der wenigen Tanz-Produktionen auch zur Diskussion für das Theatertreffen 2021, das nur virtuell stattfinden konnte. Knapp zwei Jahre später tourt die Produktion nun durch Europa und setzte einen starken Schlusspunkt an den letzten beiden „Tanz im August“-Abenden im HAU 1. „The Köln Project“ zeigte 2020, welche Freiräume auch unter strengen Pandemie-Regeln möglich sind und welch ausdrucksstarke Choreographien gelingen können. Kuratorisch wurde „The Köln Project“ (Trajall Harrell/Schauspielhaus Zürich) im HAU 1 neben „Loyalty“ (Adam Linder/Kampnagel) im HAU 2 programmiert: diese Choreographie verhandelt mit nicht ganz so schillernd-expressiven Kostümen, aber umso intensiverem Post-Lockdown-Körperkontakt dieselben Themen von der Sehnsucht nach Aufbruch und Gemeinschaft.

Bild: Reto Schmid

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