Stefan Pucher brachte Anfang des Jahrtausends frischen Wind aus der Freien Szene in die Stadttheater, experimentierte mit Video und Pop, wurde zum Regisseur des Jahres gewählt, regelmäßig zum Theatertreffen eingeladen und inszenierte an den ersten Häusern.
Eines dieser ersten Häuser der Republik, das Schauspielhaus Hamburg, vertraute ihm zum Spielzeitauftakt nun eine Koproduktion mit dem 2020 neugeschaffenen Lausitz-Festival an. In der Danner-Halle auf dem Telux-Gelände in Weißwasser in der Oberlausitz inszeniert er „Julius Caesar“ von William Shakespeare. In den bildungsbürgerlichen Kanon hat sich vor allem die Rede des Marc Antonius eingeschrieben, der mantra-artig wiederholt, was für ein ehrenwerter Mann sein Gegenspieler Brutus doch sei.
Bildungsbürgerlich beginnt auch dieser Spätsommer-Abend: mitten im bröckelnden Industrie-Charme, der an die Reinbekhallen in Oberschöneweide erinnert, die auch vom Theatertreffen und Tanz im August mehrfach als Locations genutzt werden, hebt Yorck Dippe mit langem, wallendem Haar an. In hohem Ton schildert er in Kurzfassung den blutigen Bürgerkrieg, in dem Rom nach dem Mord an Julius Caesar versank. Als Vorspiel vor dem Theater nimmt Regisseur Pucher in seiner Stückfassung also bereits den letzten Akt vorweg.
Mit Donnergrollen (Musik: Christopher Uhe) wird das Publikum in die Halle geführt, die eine überdimensionale Skulptur (Bühne: Nina Peller) dominiert: Caesar thront in der Mitte, Brutus stößt ihm den Dolch in die Brust, von unten führt Cassius den nächsten Angriff aus. Dieses Attentat an den Iden des März, das im Zentrum des Abends steht, ist von Beginn an überdeutlich präsent.
Bis die Tat auch real auf der Bühne inszeniert wird, sind jedoch gewaltige Textmassen zu bewältigen. Sehr statisch deklamiert das Hamburger Ensemble die Shakespeare-Verse. Anders als bei seiner vielbeachteten „König Lear“-Inszenierung an den Münchner Kammerspielen zur Spielzeit-Eröffnung 2019 nutzt Pucher diesmal keine frische, pointierte Neuübersetzung wie von Thomas Melle, der Shakespeare mit flapsigen Ausdrücken, zeitgenössischem Duktus und einem dezidiert feministischen Blickwinkel würzte. Beim „Julius Caesar“ setzt er auf einen traditionsreichen Klassiker: Pucher nutzt für seine Stückfassung die Übersetzung von August Wilhelm Schlegel, die Elisabeth Plessen 1986 bearbeitet hat.
Der weniger als zwei Stunden kurze Abend ächzt unter diesen enormen Textblöcken, die das routinierte Ensemble vorträgt. Spielerische Momente gibt es kaum, stattdessen kehrt Yorck Dippe nach seinem Vorspiel noch mehrfach als Poet Cinna auf die Bühne zurück und trägt Shakespeare-Sonette vor, die als Fremdtext eingeflochten werden.
Auf Video und Popsongs, zwei Markenzeichen seiner früheren Arbeiten, verzichtet Pucher diesmal komplett. In seiner Inszenierung kann er sich dennoch nicht recht entscheiden, welchen Ton er anschlagen möchte. Sachiko Hara legt ihre Titelfigur Julius Caesar als Polit-Clown an und wechselt zwischen Englisch, ihrer Muttersprache Japanisch und Deutsch hin und her. Die Gegenspieler Brutus (Josef Ostendorf) und Antonius (Bettina Stucky) bleiben über weite Strecken blass, ihre Soli kommen spät, als der Abend fast zu Ende ist.
Angeklebt wirkt ein weiterer Fremdtext, den Samuel Weiss als Plebejer zum Schluss spricht: „Ultimatum“, das Fernando Pessoa unter seinem Heteronym Álvaro de Campos schrieb, schlägt den Bogen zum Populismus und über den Atlantik. Die Bezüge, die der Abend zu Donald Trump und Jair Bolsonaro herstellen will, werden jedoch zu wenig hergeleitet und bleiben Behauptung. Zu unterschiedlich sind die rhetorischen Strategien und das Niveau der taktischen Finessen, auf denen Trump und Marc Anton agieren.
Nach den vier Vorstellungen in der Lausitz wird Puchers „Caesar“ ab dem kommenden Wochenende in Hamburg zu sehen sein, allerdings nicht auf der großen Bühne des Deutschen Schauspielhauses, sondern nebenan im Malersaal.
Bilder: Oliver Fantisch