One Song

In einen exzessiven Loop treibt die belgische Performerin Miet Warlop ihr Ensemble. In Sport-Trikots machen sie sich warm, auf der Holztribüne haben schon die grölenden Fans mit Schals gegenüber vom Theaterpublikum Platz genommen, Milan Schudel tänzelt im Outfit einer Cheerleaderin herein. Durch ihr Megaphon weist die Älteste im Ensemble, zugleich Drill-Instructorin und Zeremonienmeisterin, allen ihren Platz zu.

Viloinistin Elisabeth Klinck balanciert über den Schwebebalken, während sie spielt, Melvin Slabbinck hetzt zwischen seinen Drums hin und her, Willem Lenaerts kann die Tasten seines Keyboards nur über ein Sprungbrett erreichen, etwas verschenkt ist der Einsatz von Simon Beeckaert, seine Kombination aus Bauchmuskeltraining und Kontrabass-Spiel im Liegen ist nicht von allen Plätzen aus gut zu sehen. Im Zentrum kämpft sich Jeppe Tanghe auf dem Laufband ab und singt den titelgebenden, einen Song.

Während das Metronom unerbittlich tickt, setzen der Sänger, seine Band und die Fans zu unzähligen Wiederholungen an. Das Tempo variiert: mal melancholisch, mal in verzweifelter Wut. X-mal muss Lenaerts seiner Kollegin Klinck mit Räuberleiter wieder auf den Schwebebalken helfen, wenn sie nach kurzer Pause in die nächste Runde geschickt wird.

Dieser einstündige Loop ist sehr genau choreographiert und entfaltet seinen Sog. Als Mix zwischen Philip Glass und The Ramones beschrieb eine englischsprachige Kritik ihre Eindrücke nach der Premiere, die im Juli in Avignon stattfand. Einhellig jubelten Guardian und New York Times über ein Highlight dieses prestigeträchtigen Festivals und berichteten von Standing Ovations.

Etwas verhaltener fiel der Jubel nach der deutschen Premiere am koproduzierenden HAU aus, wo der sportliche Konzert-Exzess an drei Abenden in Folge Station macht. Die Energiegeladenheit und Präzision der Performance sind beachtlich. Aber was hat der Abend darüber hinaus zu bieten? Worauf zielt Warlop ab? DLF-Radio-Kritiker Tobi Müller sah darin eine exorzistische Abrechnung mit der Zurichtung und Ausbeutung von Schauspieler*innen- und Tänzer*innen-Körpern, die von Regie und Choreographie angespornt und oft auch über ihre Grenzen hinaus getrieben werden. Diese Lesart passt auch zum Untertitel des Abends, der als Teil IV von „Histoire(s) du Théâtre“ angekündigt wird, einer Reihe von Milo Rau und NT Gent, die 2018 mit der Schaubühnen-Koproduktion „Die Wiederholung“ begann. Natürlich muss sich Warlop dann aber vorwerfen lassen, dass ihre Kritik an der Zurichtung der Körper nicht ohne die Reproduktion der kritisierten Mittel auskommt.

Eine weitere Lesart könnte die Kritik an der toxischen Verbindung von übersteigertem Patriotismus und Sport-Events sein: Hinter der Fan-Tribüne prangt eine fiktive Flagge, am Ende reihen sich alle in typischer Fußballer-Pose mit der Hand auf dem Herz auf, während eine fiktive Hymne abgespielt wird.

Noch eine andere Fährte weist der Text: „Run for your life/´till you die/´till I die/´till we all die“, setzt Tanghe immer wieder neu an. In düsterer Endlosschleife besingt er den Schmerz, der ihn verfolge: Weglaufen zwecklos! Wie in den Vorberichten zu lesen war, liegt dem Stück tatsächlich ein Trauerfall zugrunde: Miet Warlop hat ihren Bruder mit nur 26 Jahren verloren. Die Erzählstränge des Todes und der ekstatischen Fangesänge, die die Sportler*innen antreiben, werden jedoch nicht schlüssig zusammengeführt.

So bleiben nach diesem einstündigen Abend viele Fragezeichen und Elena Philipps Nachtkritik-Fazit, dass der Abend bei allen formalen Qualitäten nur eine Fingerübung bleibt, die inhaltliche, existentielle Tiefe nur andeutet. Dies gilt vor allem, wenn man bedenkt, dass Warlops neue Arbeit viele Versatzstücke früherer Inszenierungen aufgreift und variiert.

Bilder: Michiel Devijver

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