Bardo

2015/16 war der mexikanische Regisseur nach ersten Achtungserfolgen in den 00er Jahren auf dem Zenit, Hollywood lag ihm zu Füßen und verlieh im zwei Mal in Folge den Oscar für die beste Regie: für „Birdman“ (2015) und „The Revanant“ (2016).

Sieben Jahre war es merkwürdig still, beim Festival in Venedig, das sich zur wichtigsten Startrampe für Oscar-Kandidaten mauserte, meldete sich zurück. Und nach den ersten 10-15 Minuten muss man ihm attestieren: mit großer Könnerschaft und Bildgewalt. Nach der Eingangssequenz in einer Wüste, die an die Verlorenheit von Leonardo diCaprio bei seinem Rachefeldzug durchs Eis anknüpft, schwappen uns immer surrealere Bilder entgegen: Das Neugeborene des Ehepaars, das im Zentrum von „Bardo“ steht, wird postwendend wieder in den Mutterschoß zurückgeschoben, eine Metro-Fahrt endet mit einem peinlichen Desaster für die Hauptfigur Silverio Gacho (Daniel Giménez Cacho).

Doch anschließend franst das monumentale Werk zu sehr aus. Iñarrítu wollte zu viel auf einmal: zum einen eine autobiographische Nabelschau seiner eigenen Zerrissenheit als vielfach prämierter Künstler, der sich weder in Hollywood noch in der alten mexikanischen Heimat zuhause füllt. Der fiktive Dokumentarfilmer und Journalist Gacho ist unschwer als Alter ego des Regisseurs und Drehbuchautors (letzteres wie schon bei den beiden vergangenen Filmen gemeinsam mit Nicolás Giacobone) auszumachen. Zum anderen schwebt Iñarrítu eine Analyse der Geschichte seines Heimatlandes und des  komplexen Nachbarschaftsverhältnisses zu den USA vor, in das Ex-Präsident mit seinen Plänen zum Mauerbau regelmäßig Öl goss.

Fast drei Stunden dauerte „Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten“ bei der Festival-Premiere im September. Da die dramaturgischen Schwächen zu offensichtlich waren, kürzte Iñarrítu um knapp 20 Minuten, bevor er in ausgewählte Kinos kam und Mitte Dezember auf Netflix zu sehen sein wird. Dennoch bleibt auch diese gekürzte Fassung eine zwiespältige Achterbahnfahrt: wer sich dem überlangen Film wird immer wieder durch bildstarke Passagen belohnt, aber die Stränge fügen sich nicht zu einem stimmigen Ganzen. Zu sehr dominiert die hermetische Selbstbespiegelung des Starregisseurs, Arabella Wintermayr zog in der taz das ebenso treffende wie ernüchterte Fazit: „Das Fehlen eines echten Narrativs, das über derlei technisch wie artistisch herausragend inszenierte, aber inhaltlich beinah solipsistisch anmutende Erzählfragmente hinausgeht, verhindert eine tieferes Eintauchen in den Film – was ihn zu einem in meisterlichen Bildern erzählten, langatmigen Ego-Projekt macht, das große Themen zwar durchaus streift, letztlich aber immer um den Protagonisten beziehungsweise seinen Schöpfer kreist.“

Bild: Rodrigo Jardon / Netflix © 2022
 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert