Mehr denn je

Emily Atef beherrscht souverän die Tempo und Genre-Wechsel: nach ihrer rasanten Gangster-Komödien-Farce „Jackpot“ überraschte sie in Cannes mit dem stillen, fast meditativen Film „Mehr denn je/Plus que jamais“ über das Sterben.

Die Handlung der knapp zwei Stunden lässt sich recht einfach zusammenfassen: Hélène (Vicky Krieps) bekam die Diagnose einer tödlichen Lungenkrankheit. Eine Transplantation könnte ihr ein paar weitere Lebensjahre bringen, wäre aber auch mit großen Risiken verbunden. Die Patientin entscheidet sich dagegen, sie möchte statt an Schläuchen und in Krankenhäusern ruhig und gelassen an einem norwegischen Fjord sterben. Ein Blog von Bent (Bjørn Floberg) brachte sie auf diese Idee.

Wie Bert Rebhandl in der FAS schön zusammenfasste, kreist „Mehr denn je“ in seinen zwei Stunden um einen zentralen Satz: „Die Lebenden können die Sterbenden nicht verstehen.“ Hélènes Freund Mathieu muss ertragen, dass sie die Therapie, auf die ihr seine Hoffnung setzte, ablehnt, und ihn auch auf ihrer letzten Reise in den Norden nicht dabei haben möchte.

Äußerlich passiert in diesem Film über das Abschiednehmen wenig, Atef und ihre Hauptdarsteller halten jedoch geschickt die Balance, so dass der Film – anders als Michael Kienzl ihm im Perlentaucher vorwarf – nicht langweiig wird. Vicky Krieps, die oft zu manieriert spielt, z.B. auch in ihrem zweiten „Un certain regard“-Film im Mai als Kaiserin Sisi in „Corsage“, überzeugt mit einem ätherischen Auftritt einer Frau, die das Sterben akzeptiert hat und Schritt für Schritt Abschired nimmt. An ihrer Seite spielt Gaspard Ulliel den Freund, der loslassen muss.

Diesen trauerumflorten Film macht noch trauriger, dass Ulliel mit nur 37 Jahren im Skiurlaub im Januar 2022 tödlich verunglückte: ein Film über das Sterben und Abschiednehmen wurde, was beim Dreh niemand ahnen konnte, zu seinem letzten Film.

Unmittelbar nach der Französischen Filmwoche startete „Mehr denn je“ am 1. Dezember im Kino.

Bild: © Pandora Film

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