Mit einem Dé·jà-vu beginnt „Imagine“ (Originaltitel: „Tasavor“): wieder einmal spielt ein iranischer Film in einem Taxi. In seiner kurzen, kenntnisreichen „Around the World in 14 films“-Festival-Einführung zählte Burhan Qurbani einige prominente Beispiele auf, z.B. Abbas Kiarostamis „Ten“ (Cannes 2002) oder Jafar Panahis „Taxi Teheran“ (Goldener Bär, Berlinale 2015). Woran mag die Vorliebe iranischer Regisseure für Taxi-Filme liegen? Zum einen sicher daran, dass sich die strengen Auflagen des Mullah-Regimes etwas einfacher umgehen lassen, wenn man unauffällig in einem alltäglichen Straßen-Verkehrsmittel dreht und im Strom der Metropole mitschwimmt. Zum anderen ist der beengte Raum, in dem sich Fahrer und Gast für kurze Zeit begegnen, eine Chiffre für die geistige Enge im Gottesstaat.
Ali Behrad erzählt jedoch nicht einfach von einer Taxifahrt, sondern einer ganzen Kette schier endloser Wiederholungen, in denen sich ein weiblicher Fahrgast und ein Taxifahrer immer wieder begegnen. Wir erfahren nicht mal die Namen der beiden, aber im Lauf der Gespräche sehr viel Privates.
Markant ist die Umkehrung der traditionellen Geschlechterrollen: er (Mehrdad Sedighian) ist schüchtern, besucht seit langem eine Bäckerei, traut sich aber nicht, die Angestellte anzusprechen, auf die er seit langem steht. Sie (Leila Hatami, dem Publikum bekannt als weibliche Hauptdarstellerin in Asghar Farhadis „Nader und Simin – Geschichte einer Trennung, Goldener Bär, Berlinale 2011 und Oscar 2012) prahlt damit, dass sie mehrere Affären parallel hat und die Männer, die ihr gefallen, offensiv anspricht. Im Lauf des Films bekommt dieses Bild einer Frau, die sich einfach nimmt, worauf sie Lust hat, einige neue Facetten. Mehrfach steigt sie in den kurzen, elliptischen Szenen, die sich aneinanderreihen, am Rande eines Nervenzusammenbruchs in das Taxi ein. Die patriarchalen Strukturen engen ihren Freiraum doch stärker ein, als es in ihrer anfängliche Selbstdarstellung wahrhaben will. Diese Filmfigur kann man sich aber sehr gut als Protagonistin der aktuellen Frauen-Proteste im Iran vorstellen, die einige Monate nach der Film-Premiere in der Cannes-Nebenreihe Semaine de la Critique einsetzten.
Neben dieser Reflexion über Geschlechterrollen und Freiräume ist „Imagine“ auch eine unglückliche Liebesgeschichte von zwei Menschen, die sich ständig treffen, häufig kommunizieren, aber doch nicht zueinander finden.
Bild: © Ghabe Asemanjavad Noruzbegin