Return to Seoul

Vom Clash der Kulturen und der schwierigen Identitätssuche einer jungen Frau, die als Baby zur Auslandsadoption freigegeben wurde, erzählt Davy Chou in seinem Film „Return to Seoul“. Die Hauptfigur wurde unter dem Namen Yeon Hee in Südkorea geboren, doch da ihre Eltern sich trennten und sich auch finanziell keine Kinder leisten konnten, wurde sie zur Adoption freigegeben. Die Tochter wuchs als Freddie bei einer französischen Familie auf.

Als ein Urlaubsflug nach Japan gecancelt wird, nutzt sie spontan die Chance, nach Seoul umzubuchen und das Land ihrer Eltern zu besuchen, mit dem sie bisher keinerlei Berührungspunkte hatte. Dort angekommen benimmt sie sich wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Die selbstbewusste Frau aus Westeuropa verstößt gegen mehrere ungeschriebene Benimm-Codes des ostasiatischen Landes. Höflichkeit, eine Tugend, für die diese Weltregion bekannt ist, ist sowieso nicht Freddies Ding.

Nach dieser schönen Exposition erzählt Chou betont langsam, wie Freddie ihren koreanischen leiblichen Vater (Oh Kwang-Rok) kennenlernt und anfangs fremdelt. Über fast ein Jahrzehnt beschreibt der Film mehrere Reisen der Frau, die ihren Platz zwischen zwei Welten sucht, und es schließlich auch schafft, Kontakt zur leiblichen Mutter aufzunehmen.

Als elegischer Festival-Film über eine schwierige Identitätssuche ohne Happy-End könnte „Return to Seoul“ gut funktionieren, dieser Erzählstrang wird jedoch durch eine Entscheidung des Regisseurs auf unangenehme Art überlagert und konterkariert. Davy Chou war lange auf der Suche nach seiner Hauptdarstellerin und entschied sich schließlich für Park Ji-min, eine bildende Künstlerin, die hier ihr Schauspieldebüt gibt und mit 8 Jahren mit ihrer Familie aus Südkorea nach Frankreich kam. Sie forderte, wie im Presseheft zu lesen ist, starke Mitsprache bei der Gestaltung ihrer Rolle ein. Am Ende dieses Prozesses stand keine selbstbewusste Frau mehr, sondern eine Egoshooterin, die alle und jeden vor den Kopf stößt und regelrecht soziopathische Züge trägt. Ein Tiefpunkt ist die Konfrontation mit ihrem einfühlsamen Freund André (Louis-Do de Lencquesaing), der all ihre Launen stoisch erträgt, bis sie ihm ins Gesicht knallt, dass sie ihn jederzeit aus ihrem Leben eliminieren könne. Auch gegenüber Tena (Guka Han), die sie an der Rezeption ihres Hotels kennenlernt und die sie bei ihrer ersten Reise begleitet, verhält sie sich ähnlich harsch.

So wird das Drama über Identitätssuche und Culture-Clash streckenweise durch die Charakterstudie einer verhaltensauffälligen Frau überlagert. Auf diesen Film-Stoff kam Regisseur und Drehbuchautor Chou, der als Sohn kambodschanischer Eltern in Frankreich geboren wurde, als ihn eine Freundin zum Busan Film Festival begleitete, wo er vor mehr als zehn Jahren seine Dokumentation „Golden Slumber“ (Berlinale Forum 2012) über das Wüten der Roten Khmer gegen die kambodschanische Film-Kultur und alles, was sie als zu intellektuell brandmarkten, vorstellte. Wie Freddie wurde auch seine Freundin Laure als Baby nach Frankreich adoptiert.

Seinen Film „Return to Seoul“ stellte Chou unter dem vom Verleih mittlerweile geänderten Titel „All the people I´ll never be“ in der Cannes-Sektion „Un certain regard“. Wie es der Zufall will, lief dort im Mai 2022 im Wettbewerb auch die Tragikomödie „Broker“ des Japaners Hirokazu Koreeda, die ebenfalls von den sehr häufigen Adoptionen erzählt, die in Südkorea jahrzehntelang an der Tagesordnung waren und derzeit gesellschaftlich aufgearbeitet werden.

Bild: ©AuroraFilms_Vandertastic_FrakasProductions

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