Selten ist ein Film so auf die Hauptdarstellerin zugeschnitten wie „Tár“ auf den australischen Hollywoodstar Cate Blanchett. Überlebengroß thront sie im Zentrum des mit zweieinhalb Stunden deutlich zu langen Psychodramas und fiktiven Biopics über eine lesbische Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker. Wie eine Göttinnenstatue filmt Florian Hoffmeisters Kamera sie in als Ikone am Regiepult in einer entscheidenden Szene.

Die Coppa Volpi (Silberner Löwe) gewann Blanchett bei der Premiere ebenso wie kurz danach den Darstellerinnenpreis in Telluride und den Golden Globe. Alles andere als ein Oscar wäre eine große Überraschung: es wäre mittlerweile ihr dritter nach dem Nebenrollen-Oscar für ihre Kathrine Hepburn-Darstellung im „Aviator“ (2005) von Martin Scorsese und der „Blue Jasmine“-Titelrolle (2014) in einer Woody Allen-Tragikomödie. Update: Genau diese Überraschung trat am 12. März aber doch ein: die Academy entschied sich gegen Blanchett und für Michelle Yeoh, die Hauptdarstellerin aus „Everything Everywhere All at Once“.

In langen Einstellungen schildert Todd Field den Charakter eines Kontrollfreaks und Hochleistungs-Musikstars: hinter den Kulissen kommandiert sie die Assistentin (Noëmie Merlant) herum, in Talk-Formaten liefert sie ebenso makellos ab wie in der Konzerthalle, jedes kleinste Detail scheint sie im Griff zu haben. Am liebsten ist es ihr, wenn sie Dinge und Menschen selbst erledigen kann: sie weist die mobbende Mitschülerin ihrer Tochter zurecht und lässt dabei ihre dämonische Seite aufblitzen, sie nimmt die woken Argumente eines pansexuellen, schwarzen Juilliard-Schülers gegen Johann Sebastian Bach auseinander und entledigt sich mal eben auch ihres langjährigen Kapellmeisters.

In Andeutungen und Leerstellen erzählt „Tár“ von den Vorwürfen, die zum tiefen Fall der Künstlerin führen. Eine begabte Schülerin hat sie anscheinend eiskalt fallen lassen, mit Intrigen dafür gesorgt, dass sie in der Orchesterwelt nirgendwo mehr unterkommt und sie schließlich in den Suizid getrieben. Die Boulevardpresse greift die Vorwürfe der Anwälte der Familie gierig auf. Aus der öffentlichen Demontage an der Juliiard School schnitt jemand ein Social Media-Video zusammen, das ihre Worte bösartig aus dem Kontext reißt.

Das wäre genug Stoff für einen mitreißenden, packenden Film. Doch die bemerkenswert „schwerfälligen“ (Jonas Nestroy im Perlentaucher) Kinostunden kommen nicht über eine Cate Blanchett-Show hinaus, die sich zwar an ihrer Virtuosität berauscht, aber den Film dennoch nicht trägt.

Bild: Universal Pictures

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