Kinder der Sonne

Hektische Betriebsamkeit herrscht im Hause Protassow. Der Blick des Publikums richtet sich auf den Flur, die Küche und den Eingang zum Labor des Hausherrn. Das Spiel mit Sichtachsen ist ein Markenzeichen von Regisseurin Mateja Koležnik und ihrem Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt. In ihrer ersten Bochumer Arbeit ist das Setting jedoch nicht ganz so raffiniert wie es die Kritiken zu Koležniks „Antigone“ am Münchner Residenztheater, dem sie seit vielen Jahren verbunden ist: Dort wiederholt sie das Geschehen im Flur und Sitzungszimmer aus zwei Perspektiven. Diese Inszenierung kam jedoch erst wenige Tage nach der Jury-Sitzung statt, bei der die 10er Auswahl für das Theatertreffenn 2023 entschieden wurde und sich das Schauspielhaus Bochum über die „Kinder der Sonne“-Einladung freuen durften.

Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Türen werden fast so oft geschlagen wie in einer prototypischen Boulevard-Komödie, der Ton bleibt tragikomisch. Im Zentrum dieses Klassikers von Maxim Gorki, der 1905 entstand, steht ein Bürgertum, das fast so in seine Grübeleien und Sehnsüchte eingeschlossen ist wie die Figuren seines kurz zuvor verstorbenen Landsmanns Anton Tschechow. Am weltfremdesten ist der Chemiker Protassow (Guy Clemens), der so sehr in seinem Wissenschafts-Elfenbeinturm eingesponnen ist, dass er gar nicht wahrnimmt, wie verknallt die reiche Melanija (Jele Brückner) in ihn ist.

Koležniks „Kinder der Sonne“ ist die vermutlich konservativste Position in der aktuellen tt-Auswahl: ein großes Ensemble fühlt sich in die Rollen des russischen Bürgertums und ihrer Angestellten ein. Vor detailreich nachgeahmter Kulisse erleben wir ihr vergebliches Liebeswerben und ihre Verzweiflung. Draußen tobt die Cholera, der Mob formiert sich vor dem Haus des Chemikers, der als Sündenbock herhalten soll. Anspielungen auf die jüngste Vergangenheit und die Querdenker*innen-Attacken gegen Corona-Experten wie Karl Lauterbach oder Christian Drosten macht die Bochumer Inszenierung an keiner Stelle explizit, bleibt auch hier ihrem konservativen Ansatz treu.

In dem Wimmelbild sticht eigentlich kein Akteur heraus, deshalb überrascht es, dass Dominik Dos Reis nicht nur den Alfred Kerr-Preis beim Theatertreffen von Allein-Juror Edgar Selge verliehen bekam, sondern auch von der „Theater heute“-Jury zu einem der besten Nachwuchsspieler der Saison gewählt wurde.

Bild: Matthias Horn

 

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