James Brown trug Lockenwickler

Salonkomödien über Paare, die sich mit bissigen Pointen wie in „Gott des Gemetzels“ gegenseitig zerfleischen, sind das Markenzeichen der französischen Dramatikerin Yasmina Reza. Einen ganz anderen Weg schlägt sie in ihrem neuen Stück „James Brown trug Lockenwinkler“, das vor wenigen Tagen am Münchner Residenztheater uraufgeführt wurde.

Die Dialoge des 100 Minuten kurzen Abends sind so skurril-versponnen, wie bereits der Stücktitel vermuten lässt. Statt Punch-Lines aus dem Alltag der oberen Mittelschicht geht es diesmal in eine märchenhaft anmutende Parallelwelt. „Kein Realismus“ betonte Reza in den Regieanweisungen, Lisa Wagner verkörpert als namenlose Psychiaterin die rollerfahrende Herrscherin über die Heilanstalt mit angeschlossenem Park. Zu ihren ungewöhnlichen Ansichten zählt z.B., dass sie es strikt ablehnt, zu bremsen, und deshalb nur mit sehr gemächlichem Tempo dahingleitet und ihr jeweiliges Gefährt ausrollen lässt.

Die Wahnvorstellungen ihrer Patienten nimmt sie als Realität einfach hin: Jacob Hutners fixe Idee, er sei die kanadische Popdiva Céline Dion, stellt sie ebenso wenig in Frage wie Philippes Überzeugung, dass er nicht weiß, sondern schwarz sei. Vincent zur Linden und Johannes Nussbaum spielen diese beiden jungen Männer, die sich in der Anstalt anfreunden. Wie die Zuneigung zwischen den beiden langsam wächst und sie sich in ihrem Parallel-Universum stützen und aneinander klammern, gehört zu den stärkeren Momenten der Inszenierung von Philipp Stölzl, der nach seiner Saga „Das Vermächtnis“ zum zweiten Mal am Residenztheater arbeitet.

Hilf- und fassunglos stehen Jacobs Eltern Pascaline (Juliane Köhler) und Lionel Hutner (Michael Goldberg) vor ihrem Sohn, der darüber fachsimpelt, wie er die Stationen seiner Welttournee am besten anlegt. Auffällig ist, dass Uraufführungs-Regisseur Stölzl die heißen Eisen aktueller identitätspolitischer Diskurse umschifft, obwohl sich diese geradezu aufdrängen. Die Debatten um das Selbstbestimmungsgesetz, das die Ampel-Koalition plant, oder kulturelle Aneignung entwickelten sich im Parallel-Universum im Netz zu einem verminten Gelände, auf dem sich die üblichen Verdächtigen seit Monaten verbal zerfleischen. Außerhalb dieser sehr speziellen Social Media-Welt nimmt die Mehrheit der Gesellschaft keine größere Notiz von diesen verbissen geführten Gefechten, die wesentlich sympathischere und angenehmere Parallelwelt ist die Märchen-Idylle in der Psychiatrie auf der Residenztheater-Bühne auf jeden Fall.

Bild: Sandra Then

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