Das Käthchen von Heilbronn

Nur noch mit spitzen Fingern wird Heinrich von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ von den meisten Theatern angefasst, zu krude und aus der Zeit gefallen wirkt das Ritter-Liebesdrama aus dem 19. Jahrhundert. Elsa-Sophie Jach, seit dieser Spielzeit Hausregisseurin am Münchner Residenztheater, lässt sich davon nicht abschrecken. Sie schwärmt im Programmheft von Kleists faszinierender Gedankenwelt, schon während des Studiums adaptierte sie seine Novelle „Das Erdbeben von Chili“, das „Käthchen“ ist ihre mittlerweile vierte Kleist-Inszenierung.

Sie steigt mit einem besonderen Kunstgriff in ihren knapp zweieinhalbstündigen, pausenlosen Abend an: im Video erleben wir eine Salongesellschaft, mittendrin Vincent zur Linden als sensibler Künstler, ständigen Angriffen ausgesetzt, bis zum Suizid ein unglücklicher Außenseiter. Nach diesem Intro purzelt und taumelt er auf die Bühne, diesmal als Käthchen, auf ihre Art ebenso unglücklich leidend.

Ähnlich wie Julien Gosselins „Sturm und Drang“ an der Volksbühne ist Elsa-Sophie Jachs „Käthchen von Heilbronn“ im Cuvilliéstheater eine sehr ambitionierte Arbeit, die sich vor allem an Literaturwissenschaft-Nerds richtet und mehrere Texte parallel montiert.

Jach schneidet zwischen das Kleist-Drama Passagen aus Christa Wolfs „Kein Ort. Nirgends“ (1979) über die fiktive Begegnung des Dichters mit Karoline von Günderode. In den besten Momenten geht das Konzept auf: das arg konstruierte, märchenhafte Happy-End für Käthchen, die sich als uneheliches Kind des Kaisers herausstellt und ihren angebeteten Grafen Wetter vom Strahl bekommt, wäre 1:1 kaum noch spielbar und wird hier durch Kleists Lebensüberdruss und Todessehnsucht konterkariert. Dass das Konzept nicht an seiner Überfrachtung erstickt, ist auch dem Hauptdarsteller zu verdanken: Vincent zur Linden fiel schon in „Das Vermächtnis“ auf, das in Berlin zur Theatertreffen-Eröffnung zu sehen sein wird. Er ist als genderfluides Kleist/Käthchen-Doppelwesen nicht nur Zentrum des Abends, sondern Shooting-Star der Münchner Theaterszene. Über weite Strecken fügt die Parallel-Montage mit Wolfs fiktiver Biografie dem Kleist-Drama jedoch wenig Neues hinzu.

Vor allem in der zweiten Hälfte flieht Jach deshalb ins Spektakel und greift mit beiden Händen tief in die Kiste der Theatermittel: von einem hereinschwebenden, riesigen Pferd über Schattenspiele, die den ganzen Abend durchziehen, und Konfettiregen bis zu schönen Songs fährt die junge Regisseurin sehr viel auf, um das Interesse an ihrer Inszenierung auch für Nicht-Literaturwissenschaftler und Nicht-Kleist-Aficionados wach zu halten. Vor allem Liliane Amuat und Vassilissa Reznikoff mit ihrem Gift und Galle-Rap als Kunigunde setzen hier, begleitet von drei Live-Musikern, die Akzente.

Die ambitionierte Konstruktion und der überzeugende Hauptdarsteller machten auch die Theatertreffen-Jury neugierig, die „Das Käthchen von Heilbronn“ zwar auf die Shortlist setzte, aber nicht in die aktuelle 10er-Auswahl aufnahm.

Bilder: Sandra Then

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