Ode

Kurz vor dem Corona-Lockdown kam Thomas Melles „Ode“ als Auftragswerk des Deutschen Theaters Berlin heraus: ein scharfzüngiger Text, der durch aktuelle Debatten um Identitätspolitik pflügt und nach vielen Seiten austeilt. Die linksliberale Kulturschickeria die beim Sektempfang das sprichwörtliche „Nichts“ der bildenden Künstlerin Fratzer bejubelt, bekommt ebenso ihr Fett weg wie „alte, weiße Männer“ im Regie-Fach, die Nachwuchsschauspielerinnen herumkommandieren. Eine wesentliche Rolle in diesem nur lose verbundenden Triptychon spielt die rechtspopulistisch „Die Wehr“, die mit ihren Forderungen nach Brauchtumspflege und mit ihrem Furor gegen alle Avantgarde- und Empowerment-Experimente an die AfD erinnert.

Als Lesedrama ist Melles „Ode“ anregend, es auf die Bühne zu bringen, ist eine Herausforderung, mit der schon Lilja Rupprecht bei der Uraufführung 2019 zu kämpfen hatte: sie entschied sich, den Text mit einem Overkill an Theatermitteln, Videoschnipseln, Tomatenwürfen und Farb-Klecksen zu beballern. Dennoch franste der Abend an einigen Stellen aus.

Weniger hochtourig inszenierte Rafael Sanchez, Hausregisseur am Schauspiel Köln, die dortige „Ode“-Inszenierung, die im September 2021 herauskam. Er setzt auf eine szenische Folge von kleinen Karikaturen-Tableaus, zu denen sich das Team aus vier langjährigen Ensemble-Mitgliedern und drei Nachwuchs-Spieler*innen, die mit dieser Produktion ihr erstes Engagement antraten, immer wieder neu formiert.

Für die Neuinszenierung bestellte das Schauspiel Köln bei Melle noch eine vierten Teil. Dieser Epilog, „Delirium“ überschrieben, ließ die Dramaturgin und den Regisseur ratlos zurück, wie sie beim Einführungsgespräch berichteten: Tapfer müht sich das Ensemble dennoch durch die 15 Minuten, die ohne sinnvolle Verbindung zum Rest als klamaukiger Nachklapp einen ohnehin langen Abend nur unnötig in die Länge ziehen.

Beim Heidelberger Stückemarkt wurde die Kölner „Ode“ mit dem Nachspielpreis ausgezeichnet: eine überraschende Entscheidung, denn in den drei Hauptteilen findet diese Arbeit keinen originellen Ansatz, der über die Uraufführung hinausginge, und der vierte Teil steht wie ein überflüssiger Fremdkörper im Raum. Da die Preisträger aus Heidelberg jedoch traditionell zu den ATT nach Berlin eingeladen werden, gastierte die Kölner „Ode“ gestern in den Kammerspielen des DT, also auf eben jeder Bühne, wo die Uraufführungs-Version am 27. Juni zum allerletzten Mal zu sehen sein wird.

Bild: Krafft Angerer

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