Linie 1

Mit den Denkmälern der Zeit- und Kulturgeschichte muss man behutsam umgehen: unbeirrt fuhr die längst zum Klassiker gewordene musikalische, meist ausverkaufte Revue seit 1986 über die Stammstrecke.

Die Welt hat sich massiv verändert: der Bahnhof Zoo ist kein Fernbahnhof mehr, sondern nur noch ein schmuddliger S- und Regionalbahn-Halt unter vielen, und das Schlesische Tor ist nicht mehr Endstation im dunkelsten Winkel Kreuzbergs direkt an der Mauer, sondern Hipster-Paradies mitten in der nicht mehr geteilten Stadt.

Das Grips Theater reagierte und beauftragte Tim Egloff mit einer Neuinszenierung. Doch keine Angst: das Denkmal ist unangetastet, wurde nur etwas modernisiert. Der Cast ist diverser, „Bambi“ wird von Eike N.A. Onyambu gespielt und toll gesungen, einem PoC-Schauspieler, der in dieser Spielzeit am Grips sein erstes Engagement nach dem Studium antrat. Bunter und knalliger als in der Urinszenierung sind die Kostüme von Mascha Schubert, die sich in einer Hommage an den Modegeschmack der 1980er Jahre austoben durfte.

Geblieben sind die Zeitungen, hinter denen sich die Pendler damals verschanzten, und der Zigaretten-Qualm: beide Attribute unterstreichen: die Revue spielt nicht im Hier und Jetzt, sondern im untergegangenen Frontstadt-Biotop. Auch alles andere, was „Linie 1“ zum Kult machte und ich vor einigen Jahren ausführlich beschrieben habe, ist natürlich noch da: der warmherzige Grundton, mit dem hier vom Überleben im Großstadtdschungel gesungen wird, der kabarettistische Witz von Hits wie den „Wilmersdorfer Witwen“, die ihr Berlin verteidigen und andere Balladen, die auch in der gestrigen, mittlerweile 1978. Inszenierung von einigen im Publikum mit nostalgisch leuchtenden Augen mitgesungen wurden.

Bilder: David Baltzer/bildbuehne.de

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