Johann Holtrop

Vom Höhenrausch und Absturz eines in der New Economy-Blase der frühen 2000er-Jahre gefeierten Topmanagers erzählte Rainald Goetz in seinem Roman „Johann Holtrop“. Diese fiktive Figur trägt deutliche Züge von Thomas Middelhoff (Bertelsmann und Arcandor), einer der Überflieger seiner Branche, der schließlich wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde.

Bereits 2012 erschien der Roman, die Rechte für eine Theateradaption gab Goetz jedoch erst ein Jahrzehnt später frei: Stefan Bachmann, der sich schon mit „Jeff Koons“ (eingeladen zum Theatertreffen 2000, Schauspielhaus Hamburg) einen Namen als Goetz-Experte gemacht hat, dampfte den dicken Roman gemeinsam mit seiner Dramaturgin Lea Goebel auf etwas mehr als zwei Stunden ein.

Hinter einem Wald aus Fäden tigert das achtköpfige Ensemble dieser Koproduktion von Schauspiel Köln und Schauspielhaus Düsseldorf herum, die Sprache ist durchrhythmisiert und wird von einem Live-Musik-Quartett unter Leitung von Sven Kaiser begleitet, die Titelrolle verkörpert Melanie Kretschmann und erinnert mit ihrer Frisur auch an den Autor Goetz. Satirische Überspitzung und Überzeichnung ist das Markenzeichen dieser Inszenierung: acht Frauen teilen sich die – bis auf Sekretärinnen – ausschließlich männlichen Rollen und mimen die Revier- und Machtkämpfe der Alphatiere in den Topetagen.

Der Kern dieses Konzepts ist bereits aus Bachmanns letzter Goetz-Inszenierung bekannt: „Reich des Todes“, eine Auseinandersetzung mit den „Falken“ in der Administration von George W. Bush, die nach 9/11 das Völkerrecht aushebelten, war ebenfalls eine Koproduktion der beiden Häuser, wurde auch zu den ATT nach Berlin eingeladen, nutzte auch einen Fäden-Wald von Olaf Altmann als Bühnenbild, in dem nur Frauen auftraten. Wie der Aufguss eines erfolgreichen Formats wirkt der neue „Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft“-Abend deshalb.

Unterhaltsam ist die Roman-Adaption dennoch, der neuen Inszenierung fehlt aber doch die Tiefenschärfe von „Reich des Todes“: der Text lotete die Denkstrukturen seiner an reale Vorbilder angelehnten Figuren noch luzider aus. „Johann Holtrop“ kommt kaum über eine klassische Aufstiegs- und Fall-Erzählung hinaus.

Deshalb überrascht es, dass Stefan Bachmann mit dem Faust 2023 für die beste Regie-Arbeit des Theaterjahres ausgezeichnet wurde.

Bilder: Tommy Hetzel

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