Der Titel klingt wie ein kleines Projekt für Basketball-Fans, nach einer persönlichen Hommage an den NBA-Superstar Dirk Nowitzki. Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen: das Projekt „Dirk und ich“, das Marcel Kohler und sein Team erarbeitet haben, ist ein überraschender, radikal ehrlicher Abend, der weit über den engen Kreis der DAZN-Sportfreaks hinaus Relevanz hat.
Im März 2018 war es, als sich Daniela Löffners „Sommergäste“ nebenan auf der großen Bühne des Deutschen Theaters schier endlos in die Länge zog. Im Stil ihres Lehrmeisters Jürgen Gosch waren die Spieler*innen die ganze Zeit über präsent, bis Marcel Kohler plötzlich auf der Bühne zusammenbrach und die Klinik gefahren werden musste. Die Vorstellung wurde natürlich abgebrochen. Nach meiner Erinnerung aber war es Anja Schneider und nicht Alexander Khuon, die das Publikum verabschiedete und für eine Folgevorstellung einlud.
Diese reale Situation, die ich live miterlebt habe, ist der Aufhänger dieses Solo-Projekts von Kohler, der über die Monate einer existentiellen Lebenskrise spricht: über seine Todesängste, über seinen Körper, der plötzlich nicht mehr mitspielt, über seine Selbstzweifel und Zwangsgedanken. Der Superstar Nowitzki, der damals kurz vor dem Ende seiner Karriere stand, war es, der ihm Halt gab.
Wie deckungsgleich die Bühenfigur mit dem Menschen Marcel Kohler ist, muss natürlich dahinstehen und geht uns als Publikum nichts an, aber die schonungslose Offenheit, mit der Kohler hier über psychische Ausnahmesituationen berichtet, ist beeindruckend.
Es handelt sich auch keineswegs um eine reine Selbstmitleid-Suada, sondern eine dramturgisch mit David Heiligers, der Ulrich Khuon nach Zürich begleiten wird, sehr präzise durchdachte Arbeit, die komische Momente, Publikumsansprache, Popsongs und von Linn Reusse vom Band eingesprochene Fachliteratur geschickt verzahnt.
Jede der 10 Arbeiten, die beim Theatertreffen gezeigt wird, steht für ein ganzes Arsenal ähnlicher Inszenierungen, betonte Jurorin Valeria Heintges heute bei der tt-Abschlussdiskussion. „Dirk und ich“ fällt aus diesem Rahmen: Die Radikalität dieses 90minütigen Projekts auf der kleinsten Spielstätte des DT Berlin hebt sich deutlich von den üblichen Seherfahrungen der vergangenen Monate und Jahre ab. Am ehesten lassen sich vielleicht noch die frühen Yael Ronen-Arbeiten am Gorki Theater mit diesem Abend vergleichen, auch sie unterscheiden sich aber von „Dirk und ich“ darin, dass sie ihre autofiktionalen Elemente viel deutlicher markierten und noch stärker auf comic relief setzten.
Bemerkenswert ist an „Dirk und ich“ also allein schon, dass es kaum Vergleichbares gibt. Bis zum Wechsel der Intendanz am DT Berlin steht der Abend nur noch drei Mal auf dem Spielplan.
Bilder: Arno Declair