Vor wenigen Tagen wurde der italienische Altmeister Marco Bellocchio 84 Jahre alt, ist aber weiterhin sehr aktiv. In Venedig und Cannes wurde er schon vor Jahren für sein Lebenswerk ausgezeichnet, mit seinem 25. und aktuellsten Film war er im Mai 2023 zum mittlerweile 8. Mal in den Wettbewerb um die Palmen in Cannes eingehalten. Bei dem von „großen alten Männern“ dominierten Festival war das noch nicht mal Rekord, sondern nur der 4. Platz unter den Teilnehmern.

Ins 19. Jahrhundert geht sein Film „Rapito“ (deutscher Verleih-Titel: „Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes“) zurück. Das Drehbuch, das Bellocchio gemeinsam mit Susanna Nicchiarelli schrieb, basiert auf wahren Begebenheiten. Gustav Seibt zeichnet in seiner SZ-Rezension nach, wo sich der Film Freiheiten nimmt und von belegten Fakten abweicht.

Das mit 134 Minuten etwas zu lang geratene Drama erzählt von Papst Pius IX., der die schwindende Macht des Vatikan nicht wahrhaben will. Die ganze Brutalität der Drohbotschaften einer über Jahrhunderte absolutistisch herrschenden katholischen Kirche macht Bellocchios an seinem konkreten Beispiel deutlich. Kurz vor der italienischen Staatsgründung lässt die Kurie den sechsjährigen Edgardo aus seiner jüdischen Familie in Bologna entführen: in einem Kloster soll er zum katholischen Priester und Missionar ausgebildet werden. Die Begründung: sein Kindermädchen soll ihn heimlich getauft haben, nach den Dogmen der Kirche ist er nun Christ und muss der jüdischen Familie entrissen werden.

Der zu schwülstige Score von Fabio Massimo Capogrosso droht dieses Historiendrama zu erdrücken. Seine stärksten Momente hat „Die Bologna-Entführung“, wenn die Protagonisten in Traum-Sequenzen fliehen: der senil werdende Papst schreckt aus einem Albtraum einer Beschneidung hoch, Jesus steigt vom Kreuz, als Edgardo die Nägel entfernt. Auch in manchen Szenen, in denen Bellocchio die drastischen Strafen und den Antisemitismus des Vatikan anprangert, blitzt sein Können kurz auf. Insgesamt schleppt sich dieses Drama jedoch zu langatmig dahin.

„Rapito“ ging im Wettbewerb von Cannes im Mai leer aus, lief kurz danach als Deutschland-Premiere in München sowie auf vielen weiteren Festivals wie Karlovy Vary, London, New York, Zürich und Wien. Am 16. November 2023 startete er in den deutschen Kinos.

Bild: © Pandora Film, Foto: Anna Camerlingo

   
   

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert