Green Border

Agnieszka Holland, eine der großen alten Damen des europäischen Kinos, drehte mit „Green Border“ ein wuchtiges Drama über das Elend an den Außengrenzen der EU und einen der wichtigsten politischen Filme des Jahres.

Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko lässt seit Jahren Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan nach Minsk einfliegen, die dann an der „Grünen Grenze“ zu Polen ausgesetzt werden. Sein zynisches Kalkül ist es, die Debatte über Asyl und Migration in der EU weiter anzuheizen. Die polnische Regierung reagierte mit der Errichtung von Sperrzonen und Pushbacks.

Holland recherchierte vor Ort und verdichtet die Ergebnisse zu einer fiktionalen Geschichte, in dem sich mehrere Handlungsstränge kreuzen: der mit 2,5 Stunden überlange Film setzt mit einer syrischen Familie und einer afghanischen Intellektuellen ein, die in Europa um Asyl bitten wollen. Ihre Hoffnungen platzen, an der Grenze zwischen Polen und Belarus geraten sie zwischen die politischen Fronten und werden auf beiden Seiten ähnlich brutal herumgeschubst, in Belarus außerdem noch von korrupten Kriminellen ausgenommen. Sechsmal sei er schon von Polen wieder zurück nach Belarus gekarrt worden, berichtet einer der Flüchtlinge in den Lagern hinter der Grenze.

Ausschließlich in Schwarz-Weiß, sehr plastisch und mit spürbarer Empörung schildert Holland die Zustände an der Grenze und die Verzweiflung der Schutzsuchenden. In ihrer Kritik an den polnischen Grenztruppen wird sie sehr deutlich, die Sprüche eines Vorgesetzten an seine Soldaten sind nur als menschenverachtend zu beschrieben. Die Empörung der vor kurzem abgewählten polnischen PiS-Regierung war Agnieszka Holland gewiss. In einer regelrechten Kampagne wurde sie als Verräterin beschimpft, gar mit Goebbels verglichen und ausdrücklich vor ihrem Film gewarnt.

Die Schilderung des Elends geriet streckenweise eine Spur zu plakativ. Das spürte wohl auch die Regisseurin und Co-Drehbuchautorin und bemühte sich deshalb, in der zweiten Filmhälfte mehr Grautöne und Schattierungen zuzulassen. Grenzsoldat Janek, der anfangs mit dem Strom schwimmt und die verängstigen Kinder beim Push-Back zusammenbrüllt, bekommt Gewissensbisse, handelt schließlich in einer Szene sogar gegen die Vorschriften. Auch die NGO-Aktivisten um die Therapeutin Maria (Maja Ostaszewska) werden als heterogene Gruppe gezeichnet, die um Aktionsformen und rote Linien ringen.

Sehr zeigefingerhaft ist der Epilog, in dem Holland dem Umgang mit den Flüchtlingen aus muslimischen Ländern die großzügige Aufnahme der Ukrainer nach Putins Angriffskrieg etwas zu knapp und holzschnittartig gegenüberstellt. Hier droht der Film zum politischen Manifest zu werden. Doch da Holland diese Klippen über die gesamte Laufzeit von 147 Minuten einigermaßen umschiffen konnte, ist dieser Film ein sehenswertes Drama, das die aufgeheizte Debatte um die Lage an den EU-Außengrenzen durch weniger oft gehörte/gesehene Perspektiven bereichert.

Die Jury in Venedig zeichnete „Green Border/Zielona granica“ mit einem Spezial-Preis aus, noch sechs weitere Auszeichnungen gewann der Film bei diesem A-Festival im September 2023. Nach den Publikumspreisen auf den kleineren Festivals in Chicago und La Roche-sur-Yon geht „Green Border“ mit drei Nominierungen in den zentralen Kategorien Beste Regie/Bestes Drehbuch/Bester Film in die Verleihung des Europäischen Filmpreises im Dezember.

Am 8./9. Dezember 2023 wird „Green Border“ erstmals in Deutschland an den beiden Abschluss-Tagen des Festivals „Around the World in 14 films“ in der Berliner Kulturbrauerei zu sehen sein. Der bundesweite Kinostart ist für 1. Februar 2024 geplant.

Bild: © Agata Kubis, Piffl Medien 

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