In all dem Trubel und Gewusel gibt es eine, die souverän den Überblick behält und dafür sorgt, dass der viele Genres und Themen streifende Abend wenigstens kurzzeitig zur Ruhe kommt: Ilse Ritter arbeitet erstmals mit dem Theater RambaZamba zusammen und hat als „Oracle“ einige wunderbare Auftritte ihrer Sprechkunst. Der Text, den Thomas Köck ihr und dem Ensemble geschrieben hat, arbeitet sich wieder an seinen bekannten, großen Themen, dem Kapitalismus und der Klimakrise und ihren Verbindungslinien ab, schlägt aber noch viele weitere Bögen und mündet in eine Liebeserklärung an die Kreativität, den Zirkus und das Theater.
In den vollgepackten zwei Stunden ist aber noch wesentlich mehr zu erleben. Dem Titel „aerocircus“ macht der Abend alle Ehre: kaum sind die Artistinnen abgezogen, wird Ilse Ritter an einem Seilgurt auf den Rücken eines Elefanten hochgehoben, Bert Neumanns Planwagen aus dem legendären „Kill your darlings“-Abend über die Bühne gezogen oder übernehmen die drei Puppenspieler*innen Hannah Elischer, Moritz Ilmer und Leah Wewoda mit ätzenden Kommentaren aus dem Off. In bewährter Waldorf & Statler-Manier ironiersieren sie den Text und das Geschehen auf der Bühne, das mehr und mehr zum Wimmelbild wird.
Manche Nummern bleiben besonders im Gedächtnis: Matthias Mosbach, der einst als „Baal“ an Claus Peymanns Berliner Ensemble auftrumpfte und seitdem in Berlin nur noch in Theater RambaZamba-Kooperationen zu erleben ist, schmettert Rio Reisers „Für immer und dich“ vom Rang. Frech postieren sich einige RambaZamba-Spieler*innen an der Rampe und ziehen den aktuellen Zustand der Berliner Festspiele durch den Kakao. So eine schöne große Bühne und so oft steht sie leer, spötteln sie.
Dann geht es aber auch gleich schon weiter: Regisseur Jacob Höhne und sein Team genießen es in vollen Zügen, den großen Saal der Festspiele zu bespielen, der sonst den prestigeträchtigen Theatertreffen-Einladungen oder den raren Gastspielen aus der internationalen Choreographie-Star-Regie vorbehalten ist. Dramaturgisch ist diese Zirkus-Revue zur Klimakrise nur lose verbunden. Die Assoziationsketten der Texte sind schon beim bloßen Hören herausfordernd. Kein Wunder, dass die RambaZamba-Spieler*innen während der Premiere, wie in einigen Verrissen zu lesen war, mehrfach stockten und quälende Pausen eintraten. Die Selbst-Überforderung ist bei Produktionen dieser inklusiven Bühne leider immer wieder zu erleben und schmälerte auch schon den Spaß an Leander Haußmanns „Einer flog über das Kuckucksnest“. Glücklicherweise hat sich das Ensemble bei der vierten und bereits letzten Aufführung dieser „Performing Arts Season“-Produktion so weit eingespielt, dass es zu keinen längeren Aussetzern kam. Wie von einigen Volksbühnen-Inszenierungen von René Pollesch gewohnt, folgte auch hier die Souffleuse den Spieler*innen auf Schritt und Tritt mit dem Textbuch.
Die Reaktionen gingen recht weit auseinander: das Pressecho war überwiegend negativ, das Publikum im Saal applaudierte lange. Als Zirkus-Show funktioniert der Abend tatsächlich recht gut, droht aber zu zerfasern. Durchdacht war nicht jede Entscheidung des künstlerischen Teams: aus dem Festspiel-Haus wurden die Besucher nach draußen in die Kälte und über verwinkelte Ecken der Seiten- und Hinterbühne geführt. Nach einem Intro mit Angela Winkler als Erzählerin im „Es war einmal“-Märchen-Ton, das das Publikum zusammengepfercht auf der dunklen Bühne erlebte, ging es durch weitere neuralgische Engstellen im schwer hustenden, seine Viren in die Umgebung schleudernden Pulk zur freien Platzwahl im Theatersaal.
Bilder: Philipp Zwanzig