Der Sturm/Das Dämmern der Welt

Wie sollen diese beiden Stoffe wohl zusammen gehen? Ich habe da meine Zweifel, aber wünsche gutes Gelingen. So zitiert Bernardo Arias Porras aus einem Brief von Werner Herzog an die Münchner Kammerspiele, die bei ihm die Genehmigung einholten, seinen Roman „Das Dämmern der Welt“ mit dem Shakespeare-Alterswerk „Der Sturm“ zu einem Theaterabend zu verbinden.

Knapp anderthalb Stunden dauert dieser Abend zu dem Zeitpunkt bereits, als Arias Porras an einen Segelmast gebunden diesen grundsätzlichen Kommentar zum ambitionierten Bauprinzip des Hausregisseurs Jan-Christoph Gockel abgibt. Bis dahin erlebten wir tatsächlich oft nur lose verbundende Fäden: hier die Gestrandeten um Prospero (Thomas Schmauser), der Ariel (Katharina Bach) und Caliban (Michael Pietsch) demütigt, dort der Autorenfilmer Herzog (Arias Porras), ein ganz eigener Kosmos in der deutschen Kinolandschaft, der zwischen Motiven aus seinen berühmten Filmen mit Klaus Kinski wie „Aguirre, der Zorn Gottes“ oder „Fitzcarraldo“ herumgeistert und gewohnt ausufernd auf seine filmische Karriere zurückblickt. In seinem 2021 erschienen Roman erzählt er von seiner Reise zu Hiroo Onoda, der bis 1974 auf der Pazifikinsel Lubang die Stellung hält und sich weiter im Krieg wähnt.

Gockels Konzept klingt reizvoll: Um zwei Figuren, den fiktiven Prospero und den realen Soldaten, die beide auf ihre Art in einer Wahnwelt am letzten Außenposten der Zivilisation eingesponnen sind, sollte es an diesem knapp dreistündigen Abend gehen. Doch die beiden Erzählfäden laufen die meiste Zeit über zu unverbunden nebeneinander. Was möglich gewesen wäre, deutet sich in einer kurzen Szene unmittelbar vor der Pause an: Thomas Schmauser lässt in einem Auftritt zentrale Sätze aus dem „Sturm“ und Onodas Reflexionen beim ersten Aufeinandertreffen mit Herzog ineinanderfließen. Hier gelingt die Parallel-Montage der Stoffe.

Während des Rests des Abends wissen Gockel und sein Team mit ihren Figuren und ihren so unterschiedlichen Welten recht wenig anzufangen. Ihr Fokus verschiebt sich auf eine tiefpessimistische Erzählung vom ewigen Kreislauf der Kriege. Ähnlich wie in Oliver Frljićs Kriegstrilogie am Gorki Theater rattert Arias Porras mit Unterstützung der Souffleuse all die großen und kleinen, tief ins Gedächtnis eingegrabenen und vergessenen Gewaltkonflikte der vergangenen Jahrzehnte herunter. Hier erfüllt das Theater eine wichtige Funktion als Korrektiv zu einer gesellschaftlichen Debatte, die sich mittlerweile zu oft dem Niveau von Dreijährigen annähert, von „Zeitenwenden“ tönt und einer Entscheidungsschlacht im Netflix-Stil in der Ukraine phantasiert, an deren Ende wieder ewiger Frieden stehen könnte. Wenn diese Phantasie dann nicht wie erhofft eintritt, wenden sich der tagesaktuell aufgeregte Diskurs und die Medien lieber neuen Themen zu und überlassen die Ukraine ihrem Schicksal.

In einem Satyrspiel gleich nach der Pause setzt Katharina Bach noch eins drauf und spottet als Barkeeperin im Bunny-Kostüm über die Vorstellung von einem „ewigen Frieden“, der in einem Missverständnis der gleichnamigen Schrift von Immanuel Kant als selbstverständlicher Grundzustand angesehen wird. Leider qualmt sie in dieser Szene noch mehr stinkende Nikotinschwaden in den Zuschauerraum als an diesem ohnehin zu verrauchten Abend. In einer Zeit, in der die meisten Atemwege ohnehin angegriffen sind, wird dieses dramaturgisch völig überflüssige Rauchen zu einer Qual.

Auch wenn sich Jan-Christoph Gockels Doppelabend „Der Sturm/Das Dämmern der Welt“ manchmal in seinen Erzählsträngen zu verheddern droht und statt einer Parallel-Montage zu oft nur zwei Stückwerk-Fäden bleiben, kommt der Abend bei seiner von der Live-Band (Anton Berman, Maria Moling) und Live-Kamera (Lilli Pongratz) begleiteten Reise in die Finsternis zu einem schlüssigen Ende. Als Meditation über den Krieg ist der Abend eine interessante Diskussionsgrundlage, vor allem über die Frage, ob die Lage wirklich so ausweglos ist, wie sie hier gezeichnet wird.

Bilder: Armin Smailovic

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