Mit der „Bucket List“, den Dingen, die man unbedingt vor dem Tod noch erledigen will, wollten sich Yael Ronen und Shlomi Shaban an der Schaubühne beschäftigen: eine schöne Idee für ein unterhaltsames Musical!
Doch vor 100 Tagen kam es im seit vielen, vielen Jahrzehnten mal blutiger geführten, mal nur als weltpolitisches Hintergrundrauschen geführten Nahost-Konflikt zu einer neuen Eskalation, als die Hamas an einem Samstag Morgen in den Kibbuzim mordete, vergewaltigte und entführte.
Die israelische Regisseurin Yael Ronen reagierte damit, dass sie ihre vor sich hinwitzelnde Gorki-Produktion „The Situation“ von 2015 auf unbestimmte Zeit aus dem Repertoire nahm und auch die Pläne für ihre erste Produktion an der neuen, alten Wirkungsstätte, der Schaubühne, an die sie mit dieser Spielzeit zurückwechselte, über den Haufen warf.
Dem 75 Minuten kurzen Abend, der zwar noch „Bucket List“ heißt, das ursprüngliche Thema aber nicht mal mehr antippt, sind die Ratlosigkeit und die Sehnsucht nach Eskapismus anzumerken. Zu sehr gefälligen Harmonien singen die Ensemble-Mitglieder Ruth Rosenfeld/Moritz Gottwald/Carolin Haupt mit Damian Rebgetz als Gast und begleitet vom Live-Trio Thomas Moked Blum, Amir Bresler, Hila Kulik/Shatzky vom Krieg und posttraumatischen Belastungsstörungen.
Ganz in Schwarz sind sie gekleidet, dazu rieseln in unregelmäßigen Abständen weiße Kleidchen und Stofffetzen von der Decke auf Magda Willis Bühne: Als Brautkleider, letztes Hemd beim Begräbnis, aber auch als Patienten-Kleidung können diese Accesoires gelesen werden.
Geradezu kitschig wirken diese Passagen. Für weitere Irritation sorgt, dass das Musical in seiner Eskapismus-Sehnsucht in eine banale Beziehungs-Soap abdriftet. Immerhin bleibt noch die schöne Musik mit tollen Stimmen, ansonsten würde der kurze Abend allzu sehr verflachen.
Dieses „Bucket List“-Musical, das am 9. Dezember 2023 Premiere hatte, wirkt hilf- und ratlos. Die Schaubühne war schon weiter: Carolin Emckes „Streitraum“-XL-Ausgabe vom November rang drei Stunden lang um eine Antwort, blieb aber nicht beim Eskapismus stehen, sondern analysierte die Strukturen des jahrzehntelang andauernden Konflikts und fragte, unter welchen Bedingungen eine Lösung oder zumindest ein Hoffnungsschimmer denkbar wäre.
Trotz dieser Mängel entschied sich die Jury des Theatertreffens, das Musical in die 10er Auswahl des 2024er Jahrgangs einzuladen.
Bild: Ivan Kravtsov