Der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos bleibt seinen Themen treu: wie in seinem Debüt „Dogtooth“ lässt er seine Figuren auch in seinen internationalen, stargespickten Produktionen mit viel größerem Budget in schrägen Versuchsanordnungen herumkrabbeln und beobachtet, wie sie sich dabei verhalten.
Sein neuer Film „Poor Things“ basiert auf einem schwarzhumorigen Roman des Schotten Alasdair Gray, der 1992 erschien und den Frankenstein-Mythos variiert. Der Forscher Godwin Baxter (Willem Dafoe), der sich selbst nur „God“ nennt, ist seit den Versuchen, die sein medizinischer Vater seit frühester Kindheit mit ihm durchexerzierte, so entstellt, dass er die Öffentlichkeit meidet und nur für seine Forschung lebt.
Nach einem missglückten Suizidversuch setzt er einer schwangeren Frau das Gehirn ihres Babys ein und schafft so das Wesen Bella (Emma Stone). Äußerlich eine schöne junge Frau, brabbelt sie wie ein Kindheit, pinkelt auf den Boden und durchläuft langsam die Stufen menschlicher Entwicklung.
Als sie ihre Sexualität entdeckt, berichtet sie auch God´s Assistent (Ramy Youssef) ganz schambefreit davon, und folgt dem Dandy Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo) auf eine Abenteuer-Reise durch Europa. God´s Forschungslabor ist Bella zu eng geworden, sie möchte die Welt sehen und ihre Lust ausleben. Das strenge Schwarz-Weiß weicht einer knallbunten Steampunk-Ästhetik. Herausragend ist die Leistung von Emma Stone, die die Entwicklung vom Kleinkind über eine lasziv-hemmungslos-hedonistische Phase bis zu einer ihre Umwelt immer stärker reflektierende Frau mit viel Witz und großem Mut verkörpert. Sie meistert den Balanceakt, dass die skurrilen Szenen nicht zu albern wirken, aber dennoch viel Gelächter im Kinosaal hervorrufen.
„Poor Things“ ist gehobenes Fantasy-Unterhaltungskino mit moralischer Botschaft und exzellentem Schauspiel-Cast, der bis in die Nebenrollen glänzt. Bellas Entwicklung begleiten zum Beispiel Martha von Kurtzroc (Fassbinder-Legende Hanna Schygulla), die während einer Kreuzfahrt abgeklärt und altersweise auf den Übermut der jungen Freundin blickt oder die Pariser Puffmutter Mrs. Swiney (der britische Theaterstar Kathryn Hunter), die Bella durch die Abgründe der männlichen Übergriffe lotst.
Nach der Premiere in Venedig im September 2023 war „Poor Things“ schnell der Top-Favorit auf den Goldenen Löwen. Bereits wenige Wochen später folgte die Deutschland-Premiere beim Filmfest Hamburg. Im Januar gab es zunächst einen Golden Globe für Emma Stone als beste Hauptdarstellerin einer Komödie, am 18.1. startete der Film nach Verschiebungen endlich in den deutschen Kinos und durfte sich in derselben Woche über 11 Oscar-Nominierungen freuen, nur „Oppenheimer“ hat noch zwi mehr. Am Ende reichte es immerhin für vier Oscar-Trophäen (Emma Stone als beste Hauptdarstellerin, bestes Make-up/Frisuren, bestes Kostümdesign, bestes Szenenbild).
Bilder: Yorgos Lanthimos. Courtesy of Searchlight Pictures. © 2023 20th Century Studios All Rights Reserved.