Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)

Viele Beobachter fürchten, dass in Ostasien eine fundamentale Konfrontation zwischen den beiden Großmächten USA und China drohen. Es ist auch schon klar, woran sich dieser Konflikt zu entzünden droht: am Status von Taiwan. Als Nancy Pelosi, die damalige Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, die Insel im Sommer 2022 besuchte, erhitzten sich die Gemüter sichtlich. Die Präsidentschaftswahl, die vor wenigen Tagen in Taiwan stattfand, galt manchen Analysten als potentiell gefährlicher Eskalationspunkt. Zum Glück blieb es ruhig, die deutsche Öffentlichkeit beachtet den Konflikt weiterhin kaum und war in den vergangenen Tagen vor allem mit der Correctiv-Recherche über Treffen rechtsnationaler Kreise befasst.

Umso verdienstvoller ist es, dass Rimini Protokoll die Hintergründe dieses Konflikts ausleuchtet. Dies geschieht in einer internationalen Koproduktion, die im National Theater & Concert Hall Taipei geprobt und als vorletzter Programmpunkt der „Performing Arts Season“ der Berliner Festspiele uraufgeführt wurde. Als weitere Partner im deutschen Sprachraum sind das Volkstheater Wien und das Zürcher Theaterspektakel an Bord.

Rimini Protokoll geht auf seine bewährte Art vor, wählte drei „Experten des Alltags“ aus: Chiayo Kuo, NGO-Aktivistin und Gründerin der Taiwan Digital Diplomacy Association, Debby Szu-Ya Wang, eine in Wien lebende Percussion-Musikerin/Komponistin und Tochter des verstorbenen Unternehmers, der den Bubble Tea in die westlichen Metropolen brachte, sowie David Chienkuo Wu, der nach einer langen Karriere im diplomatischen Dienst Taiwans im Ruhestand ist.

Letzterer ist prädestiniert dafür, den Kern des Konflikts zu erklären: die Volksrepublik China setzt mit der geballten Wucht ihrer ökonomischen und politischen Macht und der Drohkulisse ihrer militärischen Schlagkraft konsequent ihre Ein-China-Doktrin durch. Sie tolerieren nicht, dass Staaten den kleinen Inselstaat völkerrechtlich anerkennen und dort offiziell Botschaften eröffnen. Dementsprechend ist auf Taiwan nur noch ein kleines Häuflein meist recht kleiner Staaten vertreten, die weltpolitisch nur marginales Gewicht haben, mit Botschaften vertreten, die anderen behelfen sich mit Kontaktbüros oder ähnlichem. Dieses ohnehin kleine Häuflein schrumpft zusehends, da China seinen Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent in den vergangenen Jahren deutlich ausbaute und entsprechende Anreize bot, wechselten hier einige Staaten die Seiten.

An dem neuen Rimini Protokoll-Abend, der mit 105 Minuten doch etwas kürzer als angekündigt ausfiel, ist vor allem die formale Herangehensweise interessant. Nach privaten Anekdoten der drei „Experten des Alltags“, die zum Einstieg mit Erklärbär-Frontal-Theater-Passagen garniert werden, scheint „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ in Richtung Agit-Prop-Theater abzubiegen. Das Trio gibt sich wild entschlossen, den Tabubruch zu wagen und das Haus der Berliner Festspiele, wenige Kilometer vom Regierungsviertel entfernt, zur Botschaft Taiwans zu erklären. Triumphierend enthüllen sie eine Plakette, diskutieren über Flagge und Hymne des neuen Staates und erklären, wie das bei den Olympischen Spielen gehandhabt wird, wo Taiwan den großen Nachbarn zuletzt im Badminton schlug.

Als dann Zuschauer*innen in der ersten Reihe von der Live-Kamera eingeblendet und als vermeintliche Außenministerin Annalena Baerbock oder Konzernchefs von VW und Biontech begrüßt werden, droht der Dokutheater-Abend läppisch zu werden. Doch natürlich ist diese Passage nur ein Spiel mit Klischees von Agit-Prop- und Mitmachtheater.

„Dies ist keine Botschaft“ nimmt souverän die Kurve und steigt in eine facettenreichere Betrachtung des Taiwan-Konflikts ein. Die Meinungsunterschiede und Risse im Trio werden deutlich: Wie ist der Staatsgründer und Maos Widersacher im Bürgerkrieg Chiang Kai-shek, der Taiwan bis zu seinem Tod nationalistisch und autoritär führte, aus heutiger Sicht zu beurteilen? Mit stumm hochgehaltenen „I Disagree“-Schildern dokumentieren sie die abweichende Meinung, während der/die andere spricht. Hier wird auch ein Generationenkonflikt markiert. Am stärksten hält sich die Firmenerbin und Musikerin zurück, sie begründet dies mit der Angst vor Konsequenzen für sich und ihre Familie (der global agierende Konzern wird hier nicht explizit angesprochen, ist aber sicher nicht nur mitgemeint) und vergleicht ihre unbequeme Situation mit Taiwans Lage an der Reibungsstelle tektonischer Platten, die oft zu Erdbeben führen.

Einigkeit herrscht beim Trio, dass man behutsam vorgehen sollte: sanfte Bewegungen wie beim TaiChi sollen schleichende Verbesserungen bringen, ohne den Apparat der VR China so zu provozieren, dass der befürchtete militärische Konflikt ausbricht. Dies hätte für die politische und ökonomische Lage weltweit verheerende Konsequenzen.

In Berlin ist der Abend noch an zwei Abenden am Freitag, 26.1., und Samstag, 27.1., zu sehen, bevor er zu den Kooperationspartnern weiterzieht.

Bild: © Claudia Ndebele

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