Alice im Wunderland

Oliver Frljić, der künstlerische Co-Leiter des Gorki Theaters, sollte die Spielzeit eigentlich mit „Frankenstein“ eröffnen. Die Premiere musste jedoch nach einem Trauerfall verschoben werden. Zur Hälfte der Saison brachte der kroatische Regisseur nun eine andere schillernde Romanfigur aus dem 19. Jahrhundert auf die Gorki-Bühne.

Via Jikeli verkörpert die Titelfigur und hat, frisch von der Schauspielschule, wenige Wochen nach ihrem Einstand als Heinrich Manns „Der Untertan“ eine tragende Rolle. Knapp zwei Stunden lang folgen wir ihr durch eine Szenen-Folge, die sich ohne besondere dramaturgische Akzente an zentralen Passagen des berühmten Romans entlang hangelt.

Alice trifft nach ihrem Sturz durch das Loch auf all die bekannten Figuren des Wunderlands: das weiße Kaninchen (Aleksandar Radenković), den Hutmacher (Elias Arens), die Herzkönigin (Çiğdem Teke), die bei jeder Gelegenheit „Kopf ab!“ brüllt, den Herzkönig (Aram Tafreshian) und diverse Nebenfiguren wie die Raupe, die von David Rothe verkörpert werden.

In hohem Tempo und starker Überzeichnung geht das Ensemble diese Szenen an. Doch es will sich kein Sog einstellen: das Timing passt nicht, die Pointen sind oft zu grobschlächtig und klamaukig, gleiten sogar in den Fäkalhumor ab, als Tafreshian einen Durchfall simuliert und alle anderen die Suppe auslöffeln.

Çiğdem Teke, Via Jikeli, David Rothe

Ziellos wirkt die Inszenierung über lange Zeit. Worauf Frljić hinaus will, wird am Schluss überdeutlich: Tafreshian stellt sich mit einer Abrechnung gegen die sogenannten „Boomer“ an die Rampe. Das wird aber ebenso wenig aus dem Abend herausentwickelt wie die Schlussszene, in der das Ensemble hinter Stacheldraht und dem großformatigen SPIEGEL-Cover von Olaf Scholz, der im Herbst 2023 mit markigen Worten mehr Abschiebungen versprach. Alice, die mittlerweile – abweichend von der Vorlage von Lewis Carroll – als Nachfolgerin der Herzkönigin über das Wunderland regiert, verkündet ihr Regierungsprogramm kurz und knapp: Alle, die nicht der Norm entsprechen, müssen ausgeschaltet werden!

So endet eine Inszenierung, die als launige Adaption eines Literaturklassikers über weite Strecken nicht gut funktioniert, mit einem Holzhammer-Polittheater-Nachklapp. Besonders schade ist, dass Frljić für diesen enttäuschenden Abend ein hochkarätiges Ensemble zur Verfügung hatte, mit dem er zu wenig anzufangen wusste: Aram Tafreshian, der sich ein zweites Standbein als Regisseur aufbaute, war zum ersten Mal seit seinem Ausscheiden aus dem Gorki-Ensemble 2020 in einer neuen Produktion zu sehen. Noch länger musste man auf Aleksandar Radenković warten, der legendäre Gorki-Produktionen wie Falk Richters „Small Town Boy“ in den ersten Jahren von Shermin Langhoffs Intendanz (2013 – 2016) prägte, als Gast kam außerdem Elias Arens dazu, der während der gesamten Ära von Uli Khuon (2009-2023) am benachbarten Deutschen Theater engagiert war.

Bild: Ute Langkafel

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