Sterben Lieben Kämpfen

Fragmente aus drei Bänden des voluminösen „Min Kamp“-Werks (2009-2011) des Norwegers Karl-Ove Knausgård hat Yana Ross für die Spielfassung von „Sterben Lieben Kämpfen“ kondensiert. In loser Folge entsteht ein Panorama einer unglücklichen, dysfunktionalen Familie: die autofiktionale Hauptfigur Karl Ove (gespielt von Gabriel Schneider) arbeitet sich an der schwierigen Beziehung zum dominanten Vater (Paul Herwig) ab. In kurzen Rückblenden auf die Kindheit erinnert sich Karl Ove an die vielen Verbote, sogar zu laufen war untersagt, während er auf den Leichnam des Verstorbenen blickt. Der Tod des Vaters im Jahr 1998 war auch der Schreibanlass für die Selbstbespiegelung in diesen sechs Bänden, die ein Jahrzehnt später nach und nach erschienen.

Paul Herwig als Vater, Gabriel Schneider als Sohn, daneben Maximilian Diehle

Zweites großes Thema ist die Beziehung zu seiner damaligen Frau Linda (Kathleen Morgeneyer) und den Kindern: der Autor versucht, eine gleichberechtigte Ehe zu führen, würde sich aber viel lieber zurück an den Schreibtisch setzen als den Kinderwagen zu schieben. Im Intro von Cynthia Micas und im letzten Drittel gibt es einige Überlegungen zu Adolf Hitler und seinem Buch „Mein Kampf“ und der Frage, was ihn vom gescheiterten Künstler zum Anführer einer totalitären Schreckensherrschaft macht. Die wenigen, kurzen Auftritte von Micas als „The Master of Ceremony“ markieren auch jeweils einen Cut: dann steigt das Ensemble aus der Roman-Handlung aus und es folgen entweder ein Fremdtext, z.B. ein Interview von Siri Hustved mit ihrem Kollegen Knausgård oder eine kleine Musical-Choreographie wie der Auftritt von Amelie Willberg als Babyrhythmikpädagogin. In einen ihrer Kurse hat sich Karl-Ove verirrt und muss nun mit all den anderen Müttern und Vätern die Mitmach-Übungen über sich ergehen lassen.

Ensemble-Choreographie aus „Sterben Lieben Kämpfen“

Diese kleinen komödiantischen Nummern sind eingeflochten in die vor sich hinplätschernde Szenen-Folge, aus der sich der unspektakuläre Abriss eines Lebens entwickelt. Die Roman-Vorlagen, aus denen Ross trotz der sich sehr lang anfühlenden pausenlosen 2,5 Stunden nur Ausschnitte und Motive verwenden konnte, nimmt die lettisch-amerikanische Regisseurin wesentlich ernster als Tschechows „Iwanow“, den sie bei ihrem Einstand am Berliner Ensemble vor einem Jahr für eine platte Überschreibung im Tennisclub nutzte, die seit der schlecht besprochenen Premiere kaum noch auf dem Spielplan stand, aber demnächst wiederaufgenommen wird.

„Sterben Lieben Kämpfen“ dürfte bei den zahlreichen Fans der Roman-Reihe und jenen, die ihre Freude an langatmigen Familienaufstellungen depressiver Skandinavier haben, besser ankommen.  Der Abend hatte am 1. März 2024 im Großen Haus des Berliner Ensembles Premiere.

Bilder: Matthias Horn

 

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