Extra Life

Im dichten Nebel versinkt die Bühne des Hans Otto Theaters Potsdam. In einem Auto sitzen die Kino-Starschauspielerin Adèle Haenel und Theo Livesey, stopfen Chips in sich hinein und albern etwas herum. Ernster wird ihr mäandernder Dialog, der auf Deutsch und Englisch übertitelt ist, das Thema sexueller Missbrauch durch einen engen Verwandten kristallisiert sich als Kern heraus.

Die performative Stückentwicklung bleibt bewusst rätselhaft, als das Duo aussteigt und Katia Petrowick hinzukommt, bewegen sie sich demonstrativ nur in Zeitlupe. Im Hochparkett macht sich Unruhe breit, im Parkett gähnten viele Lücken, obwohl die Vorstellung offiziell ausverkauft war.

Die 10er Auswahl des Theatertreffens wagt sich hier in Grenzbereiche vor: ästhetisch lassen die entschleunigte Spielweise und die langen gleichförmig vor sich hinplätschernden Textpassagen viele im Publikum kalt, auch räumlich ist der Abend in der Peripherie des Festivals. Das Hans Otto Theater liegt so weit am Rand der brandenburgischen Landeshauptstadt, in der das Leben an diesem Feiertags-Vorabend sowieso nicht brodelt, dass sich das Publikum schon um 21.30 Uhr mit überfüllt vor sich hinschaukelnden Nachtbussen nach Wannsee durchschlagen muss. Dort fährt aber auch nur im 20 Minuten-Takt die nächste S-Bahn ins Berliner Zentrum. Ein Festival-Shuttle wäre deshalb eine sehr gute Idee gewesen!

Es ist schön, dass die Jury über den Tellerrand des Metropolentheaters hinausblickt, das in diesem Jahrgang mit vielen klangvollen Namen wieder dominiert. Es ist eine bewusste Setzung, eine Produktion einzuladen, die von einer Frau in Kooperation mit Freie Szene-Spielstätten konzipiert und auf der interdisziplinär und international ausgerichteten Ruhrtriennale im August 2023 in einer stillgelegten Zeche uraufgeführt wurde.

Der Abend verharrt aber so sehr in einem hermetischen Abwehrmodus und ähnelt stilistisch  schwächeren Freie Szene-Arbeiten, so dass er vom Theatertreffen-Publikum nur verhalten aufgenommen wurde. Auch der tänzerische Abschluss des Trios überzeugt nicht.

Bemerkenswert ist eine Lichtdesign-Sequenz, die Yves Godin etwa im Mittelteil des Abends gestaltet. „Extra Life“ löst sich hier von seinem eigenwilligen Zwitterzustand aus unterspannter, textlastiger Performance mit Nebelmaschine und Anklängen an Tanz und wandelt sich zu einer eindrucksvollen Installation bildender Kunst, unterlegt vom Sounddesign von Adrien Michel. Diese kurze Passage lohnt den Besuch tatsächlich.

Design: © DACM / Gisèle Vienne; Foto: © Estelle Hanania

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