Als die Götter Menschen waren

Der in Wien lebende Iraner Amir Gudarzi war eine Entdeckung der Autorentheatertage 2022. Sein Stück „Wonderwomb“, das er für den damaligen Wettbewerb einreichte, schaffte es zwar nicht unter die Top 3, die zum Abschluss des Festivals traditionell in der Langen Nacht präsentiert werden. Aber die Qualität dieses vielschichtigen Textes war so unverkennbar, dass sich das damals noch von Uli Khuon geführte DT entschloss, eine szenische Lesung im Rangfoyer anzubieten. Im selben Jahr wurde der Text auch mit dem Kleist-Förderpreis ausgezeichnet und in Marburg uraufgeführt.

Gudarzis Schreibstil zeichnet sich dadurch aus, dass er aktuelle Krisen im Nahen und Mittleren Osten, aber nicht nur dort, genau beobachtet. Seine Handlungsstränge erzählen in parallel montierten Szenen mit schnellen Schnitten. Seine Texte wirken oft mehr wie Lesedramen. Sie zu inszenieren, ist eine Herausforderung.

Zwei Jahre später ist Gudarzi nun zurück bei den ATT und erstmals mit einer kompletten Inszenierung. In der aktuellen Spielzeit ist er Hausautor am Nationaltheater Mannheim und verfasste das Auftragswerk „Als die Götter Menschen waren“, das im Januar 2024 auf der dortigen Studiobühne herauskam.

Wie gewohnt, holt Gudarzi weit aus, bedient sich bei Motiven des mesopotamischen Atrahasis-Epos und schlägt den Bogen bis zu seinem Lieblingsgegner Elon Musk, der in einem DeepFake über seine Vision, den Mars zu besiedeln, schwadroniert. In der vielstimmigen Collage, die vom Corona-Lockdown über die Frage fairer Impfstoff-Verteilung bis zur im Iran niedergeschlagenen „Frau, Leben, Freiheit“-Revolution reicht, kristallisieren sich drei Einzelschicksale heraus, die genauer beleuchtet werden: Ištar (Sarah Zastrau), hochqualifizierte Ingenieurin aus dem Irak, bekam ihre Abschlüsse nicht anerkannt, ist bei Tesla in Grünheide für die Müllentsorgung zuständig und hat mit Giftstoffen zu kämpfen. Amazon-Bote Mazlum (Leonard Burkhardt) wird per Live-Tracking durch Altbau-Treppenhäuser gehetzt und ins Depot zum Sortieren der Waren strafversetzt, als er es wagt, einen Betriebsrat zu gründen. Johnny (Larissa Voulgarelis) floh aus Aleppo und kurvt mit der Google-Kamera auf dem Auto-Dach durch die Gassen Wiens, um die Maps-Dienstleistungen zu aktualisieren.

Trotz der Überfülle an Themen, die Gudarzi in seinem Zettelkasten hatte und abhakt, trägt es das Auftragswerk „Als die Götter Menschen waren“ nicht aus der Kurve. Klassen- und Ausbeutungsverhältnisse sind als zentrales Thema klar erkennbar, im ATT-Rahmenprogramm war ein Vertreter von ver.di zu Gast, der über die prekären Arbeitsverhätnisse von Paketboten berichtete.

Die Herausforderung, den durch Zeiten und Themen hüpfenden Text auf die Bühne zu bringen, nahm Regisseur FX Mayr an. Der Österreicher ist der neuen DT-Intendantin Iris Laufenberg bereits aus ihrer Grazer Zeit als langjähriger Arbeitspartner verbunden und stellte in Berlin mit „Der geflügelte Froschgott“ eine erste Inszenierung vor. Charakteristisch für Mayrs Regie-Stil sind die vielen choreographischen Elemente: während die tänzerischen Einlagen beim furiosen Froschgott-Duett von Regine Zimmermann/Bernd Moss noch drangeklebt wirkten, fügen sich die Nummern in seiner Mannheimer „Als die Götter…“-Arbeit organisch in eine 90minütige Folge schnell geschnittener Szenen ein.

Die Soli der drei ausgebeuteten Migrant*innen und der Musk-Jüngerin Eva (Jessica Higgins), die vom Mars aus ungläubig auf die Reste der untergegangenen irdischen Zivilisation blickt, wechseln sich mit Chor-Auftritten der mesopotamischen Götter ab, für die Korbinian Schmidt einen Zombie-Zottel entwickelt hat.

Mit langem, freundlichem Applaus wurde das Mannheimer ATT-Gastspiel aufgenommen, da es dem Autor gelang, in einer komplexen Montage eine derartige Vielzahl aktueller Krisen und Probleme stimmig zu verknüpfen. „Als die Götter Menschen waren“ versucht, mit den rasanten Entwicklungen Schritt zu halten und überzeitliche Muster aufzuzeigen: Gudarzi ist eine markante Stimme unter den zeitgenössischen Autoren und die Festival-Einladung dieses Auftragswerks eine schlüssige kuratorische Entscheidung.

Bilder: Maximilian Borchardt

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert