Blutstück

Mit sehr freien Adaptionen von kanonischen Stücken hat sich Leonie Böhm einen Namen gemacht: meist nimmt sie nur ein paar Motive aus den Werken von Euripides, Goethe, Schiller oder anderen alten, längst toten, weißen Männern. Gemeinsam mit ihrem Ensemble fragt sie sich, was diese Themen für die Lebenswelt der jungen Generation bedeuten. Die Stückentwicklungen kreisen launig-unterspannt um sich selbst, an Leonie Böhms Arbeiten scheiden sich die Geister. Die meist weiblichen, jungen Fans jubeln, viele andere finden es zu albern und seicht.

Einen anderen Weg ging Böhm bei ihrer letzten Inszenierung als eine von ursprünglich acht Hausregisseur*innen in Nicolas Stemanns/Benjamin von Blombergs gerade zu Ende gehender Zürcher Intendanz. Sie nahm sich statt eines angestaubten Klassikers den Überraschungserfolg eines nonbinären Newcomers vor. Kim de l´Horizon gewann mit „Blutbuch“ eine ganze Reihe von Preisen, darunter im Herbst 2022 sowohl den Schweizer als auch den Deutschen Buchpreis. Bedingung von Böhm, sich auf das Projekt einzulassen, war, dass de l´Horizon auch selbst an der Stückentwicklung mitwirken sollen.

Das Intro gehört Kim de l´Horizon allein: aus der Dunkelheit tastet sich die performende Autor*in nach vorne an die Rampe, spricht über das Gefühl, fremd im engen Körper zu sein und skizziert die großen Themen, denen ihr „Blutbuch“ nachspürt. Kim dämpft aber gleich die Erwartungshaltung: eine Nacherzählung des Romans ist von Böhm nicht zu erwarten, wer eine werktreue Umsetzung möchte, ist z.B. in Magdeburg besser aufgehoben. Auf der Zürcher Pfauenbühne und beim ATT-Gastspiel am Deutschen Theater Berlin ist etwas anderes zu sehen: „Blutstück“, eine Art Musical-Version.

Kim de l´Horizon und Gro Swantje Kohlhof

Leider geht der knapp 100minütige Abend nicht so vielversprechend weiter. Die vier Mitstreiter*innen kommen auf die Bühne: Vincent Basse,  Sasha Melroch und Lukas Vögler aus dem Zürcher Ensemble und Gro Swantje Kohlhof, die schon an den Münchner Kammerspielen mit Böhm arbeitete. Unterspannt mäandert die Nummernrevue vor sich hin, die Performer*innen versuchen, das Publikum in den ersten Reihen ins Gespräch zu verwickeln, zwischen albern und belanglos plätschert die Performance vor sich hin.

Stärkere Momente gibt es, wenn Kim de l`Horizon zurück in den Fokus rückt. Die Autor*in streift durch die Reihen und unterhält sich mit dem Amerikaner Steve, der ihr verspricht, ihr einen Rückzugsraum und Safe Space zu bieten. In kurzen Momenten blitzt auf, wie sich dieser Abend entwickeln könnte. Es hätte ein tolles Solo von Kim de l´Horizon werden können, stattdessen verzettelt sich die Produktion zu oft zwischen Witzchen, Publikums-Small-Talk und ironischen Songs zur Klampfe von Lukas Vögler.

Bilder: Diana Pfammatter

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