Inmitten all der Kürzungsdebatten beginnt die Theater-Saison mit einem Transfer-Coup: Jens Harzer, der Ifflandring-Träger, wechselt zunächst für zwei Jahre vom Hamburger Thalia Theater ans Berliner Ensemble. Dieter Dorn hat ihn noch während des Studiums an der Schauspielschule 1992 engagiert, zuletzt arbeitete er vor allem mit Johan Simons und war regelmäßig beim Theatertreffen zu Gast, zuletzt in einer sehr verhalten aufgenommenen Bochumer „Macbeth“-Inszenierung 2024. Mehr als ein Jahrzehnt gastierte er regelmäßig am DT Berlin in Jürgen Goschs legendärer „Onkel Wanja“-Inszenierung, mit der 2008 gemeinsam mit Uli Matthes zum Schauspieler des Jahres gewählt wurde.
Intendant Oliver Reese ließ es sich natürlich nicht nehmen, den Einstand des Schauspielstars selbst szenisch einzurichten. Er wählte dafür den Brief, den Oscar Wilde kurz vor Ende seiner zweijährigen Haft an seinen Liebhaber Bosie Douglas schrieb. 1895 war Oscar Wilde auf dem Höhepunkt seines Ruhms, die bis heute oft gespielte „Bunbury“-Komödie war ein Hit. Doch Lord Douglas, der Vater seines Liebhabers, holte zu einem entscheidenden juristischen Schlag gegen ihn aus. Da Homosexualität im viktorianischen England vor der Jahrhundertwende verboten war, wurde Wilde vor Gericht gestellt. Dies bedeutete seinen Ruin: er verlor die Rechte an seinem Werk und starb kurz nach seiner Freilassung verarmt mit nur 46 Jahren in Paris.
Dementsprechend fehlen die für Wilde-Stücke so charakteristische Ironie und Spottlust in diesem „De Profundis“-Brief. Er konzentriert sich auf die zerbrochene Liebe, die wütende Anklage und den tiefen Schmerz. In der gekürzten Theater-Fassung ist dieser Eindruck noch stärker, da die essayistischen Ausführungen zur Kunsttheorie weitgehend gestrichen sind.
Mit seinem unverkennbaren sanften, melodischen Singsang setzt Harzer zunächst noch in völliger Dunkelheit zu seiner Abrechnung mit dem Ex an. Langsam gibt Steffen Heinkes Lichtregie den Blick auf Hansjörg Hartungs Bühne frei. Der Protagonist steht in einem schmalen Kasten, der seine Gefängniszelle symbolisiert, und konfrontiert das Publikum mit seinem fast zweistündigen Lamento.
Anders als z.B. Lina Beckmann in ihrem „Laios“-Solo wechselt Jens Harzer nicht zwischen den Figuren und auch kaum zwischen den Gefühlslagen. Der stille Schmerz wird zwischendurch verzweifelter und wütender, weicht wieder resignativen und abgeklärten Momenten. Aber während der kompletten fast zwei Stunden bleibt der Text bei der einen Perspektive des gequälten, ins Gefängnis verstoßenen, seiner Liebe beraubten Dichters, der vom Dandy zum Häftling abstürzte.
Trotz aller Kunstfertigkeit hat das deutliche Längen. Der Kopf eines prominenten Vordermanns senkte sich mehrfach minutenlang für ein Nickerchen, bis er wieder hochschreckte. Szenisch bleibt der Monolog minimalistisch, Harzer konzentriert sich ganz auf das Wort, bis auf den Biss in einen Plastik-Vogel oder eine Farbtube, die sich der Star in die Haare schmiert, soll nichts von der Schmerzens-Arie ablenken.
Vor allem einige ältere Zuschauerinnen sprangen begeistert zum Schlussapplaus auf. Nach und nach, anfangs noch zögernd, erhob sich auch der ganz überwiegende Rest des Saals zu einem langen Applaus-Bad, das der Intendant und sein neuer Star sichtlich genossen.
„De Profundis“ hatte am 6. September im Großen Haus des Berliner Ensembles Premiere.
Bild: Jörg Brüggemann