Onkel Wanja

Für diese Verzweifelten gibt es kein Entrinnen. Wenn ihr Auftritt im Zentrum der Guckkasten-Bühne von Johannes Schütz beendet ist, müssen sie stundenlang weiter an den Lehmwänden ausharren. In Reih und Glied aufgereiht steht das Edel-Ensemble, das Jürgen Gosch für diese Tschechow-Elegie versammelt hat: meist mit dem Gesicht zum Geschehen, manhmal aber auch mit dem Rücken zum Zentrum und dem Gesicht zur Wand.

Fast drei Stunden lang voller Kunstpausen leiden die Tschechow-Figuren an ihrer Unzulänglichkeit, ihrer Langeweile und ihrer unerwiderten Liebe. Weitschweifige Klagen über ihr Schicksal und ihre verpassten Chancen wechseln sich mit kurzen Wut- und Zornausbrüchen, bevor Meike Droste als Sonja zum berührenden Schlussmonolog ansetzen darf. Beschwörend ruft sie „Wir ruhen uns aus! Wir ruhen uns aus!“, glaubt aber selbst nicht daran und wischt Ulrich Matthes, der als Onkel Wanja wie ein Häuflein Elend auf seiner Bank kauert, die Tränen aus dem Gesicht.

13 Jahre nach der Premiere ist dieser Theater-Klassiker noch bis 31. Januar 2021 als Streaming-Angebot des DT Berlin und der Plattform dringeblieben abrufbar. Damals jubelten die Feuilletons ergriffen über die tränenreiche Verzweiflungs-Performance eines hochkarätigen Ensembles. „Onkel Wanja“ räumte reihenweise Preise ab: In die 10er-Auswahl des Theatertreffens war der Abend sowieso eingeladen, darüber hinaus wurde sie zur „Inszenierung des Jahres“ gewählt. Ulrich Matthes und Jens Harzer, der damals als Gast verpflichtet wurde und heute im Hamburger Thalia-Ensemble ist, teilten sich die Auszeichnung als „Schauspieler des Jahres“, Constanze Becker, die Oliver Reese zunächst nach Frankfurt, dann ans Berliner Ensemble folgte, wurde zur „Schauspielerin des Jahres“ gekürt.

Dieser Archiv-Stream ist in all seinem Retro-Charme vor allem theaterhistorisch interessant, weil Goschs eingangs beschriebener Stil, dass seine Spieler*innen immer auf der Bühne präsent bleiben müssen, bis heute immer wieder zitiert wird, zum Beispiel von Daniela Löffner bei „Väter und Söhne“ oder Johan Simons im „Hamlet“.

Bild: Arno Declair

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