Autorentheatertage 2013: Jelinek in der Unterwelt, Cameron in 12 Varianten

Kurz vor Ende der Spielzeit widmet sich das Deutsche Theater Berlin seit einigen Jahren der Gegenwartsdramatik: ein bunter Mix aus Gastspielen der großen Schauspielhäuser wie dem Wiener Burgtheater und dem Münchner Residenztheater und Entdeckungen aus Kassel, Kaiserslautern oder Osnabrück laden zu einer Entdeckungsreise durch die neuesten Produktionen zeitgenössischer Autorinnen, die 2013 gegenüber ihren männlichen Kollegen deutlich in der Überzahl waren.

Der unterhaltsamste Höhepunkt des Festivals führte bei schönstem Sommerwetter in die griechische Unterwelt: Elfriede Jelinek deutete in ihrer assoziativ-mäandernden Textfläche Schatten (Eurydike sagt) den antiken Mythos von Orpheus und Eurydike komplett um. Bei ihr ist Eurydike kein Opfer, das sehnsuchtsvoll darauf wartet, dass ihr Orpheus sie aus der Unterwelt befreit. Im Gegenteil: Die sieben hervorragenden Schauspielerinnen, die sich den Monolog aufteilen und mit kabarettistischen Einlagen gekonnt auf die Bühne bringen, haben von ihrem bisherigen Leben die Nase voll. Ihre Eurydike will auf keinen Fall zum narzisstischen Popstar Orpheus zurück, der ständig von kreischenden Teenager-Groupies umlagert ist und sie vernachlässigt. 

Während Orpheus im Hintergrund auf der großen Showtreppe seine Liedchen trällert, nimmt Nikolaus Habjan mit seiner Jelinek-Puppe das Zentrum der Bühne ein. Er imitiert die Sprachmelodie der Literatur-Nobelpreisträgerin glänzend, seine Handpuppe ist eine meist ironische, häufig ihre lange Mähne schüttelnde Stichwortgeberin und bissige Kommentatorin des Bühnengeschehens der Star des Abends.

Ein anderer Promi steht trotz seiner Abwesenheit im Mittelpunkt eines interessanten Experiments an den Kammerspielen: zwölf Theater aus ganz Europa wurden gebeten, sich in einem Minidrama mit der Grundsatzrede des britischen Premierministers David Cameron auseinandersetzen. David´s formidable speech on Europe hat einen gemeinsamen Nenner, den isolationistischen Kurs des konservativen Premiers fand keine der zwölf teilnehmenden Gruppen formidabel. Im Beitrag aus Barcelona wurden Trauer und Wut über die Perspektivlosigkeit einer Jugend deutlich, wo jeder Zweite arbeitslos ist. Im Nachgespräch bei Tomatensuppe erzählten die beiden Schauspieler, dass fast alle ihre Freunde aus Spanien weggezogen sind. Mario Fuchs vom Schauspiel Frankfurt war mit einer frechen Video-Botschaft an Cameron mit Klavierbegleitung zu Gast, Stefanie Reinsperger aus Düsseldorf spielte eine Putzfrau, die während ihrer Arbeit einige Passagen aus Camerons Rede mithört und mit Wiener Schmäh kommentiert.

In die Kategorie well-made-play fiel Moritz Rinkes Ehe-Tragikomödie Wir lieben und wissen nichts. Ähnliche Konstellationen zweier Akademiker-Paare waren seit Edward Albee zwar x-fach zu sehen, Rinke hat den Stoff aber routiniert und unterhaltsam umgesetzt. Leider war in Berlin nicht die Uraufführungs-Inszenierung des Schauspiels Frankfurt von Oliver Reese mit Constanze Becker zu sehen, sondern eine Arbeit des Konzert Theaters Bern. Moritz Rinke konnte im Gegensatz zu den anderen Autoren, die sich meistens Publikumsgesprächen stellten, leider nicht selbst in Berlin sehen: Er war gerade mit seiner Freundin in Istanbul, als dort der Konflikt zwischen Erdogan und den Demonstranten eskalierte. In der ZEIT waren eindrucksvolle Tagebuch-Eindrücke aus der Türkei abgedruckt.

Jenseits der üblichen Theaterkonventionen ist Call me God vom Münchner Residenztheater angesiedelt: vier Autoren (Cervo, Mayenburg, Ostermaier, Spregelburd) nahmen den Beltway Sniper, der die USA ein Jahr nach 9/11 in Atem hielt, zum Ausgangspunkt einer schrillen Patchwork-Arbeit. Am meisten interessiert sie die hysterisch heißlaufende mediale Verwertungsmaschinerie, die nach dieser Anschlagsserie einsetze. Aufgekratzte Frühstücksfernsehen-Moderatorinnen befragen Angehörige und Experten, als Running-Gag hat jeder ein Buch zu vermarkten. Das Thema und der ungewohnte, experimentierfreudige Zugriff sind sehr interessant, der Abend überzieht aber teilweise bei seinem Willen, die grotesken Seiten der realen Ereignisse grell auszuleuchten. Mit dem Holzhammer werden auch absehbare George W. Bush-Pointen angeboten.

Einen zwiespältigen Eindruck hinterließ Ewald Palmetshofers räuber.schuldengenital, ein weiteres Gastspiel des Wiener Burgtheaters. Schillers Drama ist für ihn nur ein vager Anknüpfungspunkt, ihm geht es um seine These, dass die Alten auf Kosten der jungen Generation leben, die nur von der Sicherheit lebenslanger Festanstellung träumen kann. Anita Blasberg hat dazu vor einigen Wochen eine lesens- und nachdenkenswerte Polemik im ZEIT-Dossier veröffentlicht. Palmetshofers Stück fehlt erstens die argumentative Kraft des Textes, zweitens fehlten bei aller Fokussierung auf die These, die er vermitteln wollte, die künstlerischen Mittel, daraus einen gelungenen Abend zu gestalten.

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