„Erheben Sie sich!“, fordern der Vorsitzende Jean-Louis Gilissen und Untersuchungsleiter Sylvestre Bisimwa das Publikum auf, als sie in ihren schwarzen Roben die Bühne betreten. Beide haben langjährige Erfahrungen mit der Aufarbeitung komplexer völkerrechtlicher Sachverhalte am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. In der Mitte der Bühne hat bereits die prominent besetzte sechsköpfige Jury Platz genommen, die bekanntesten Gesichter sind Wolfgang Kaleck (ECCHR-Generalsekretär), der u.a. Edward Snowden anwaltlich vertritt, der Sozialpsychologe Harald Welzer (KWI Essen) und Saskia Sassen, die Grande Dame der Soziologie und Globalisierungsforschung.
Milo Rau und sein Team haben sich einiges vorgenommen: an drei Tagen soll das Kongo-Tribunal in einem straffen Programm mehrstündiger Hearings fortgesetzt werden. Ein erster Teil fand bereits im Mai in Bukavu statt. Historisches Vorbild dieser Gerichts-Performance ist das Russell-Tribunal, das auch als Vietnam-Kriegsverbrecher-Tribunal bekannt ist, und 1966 die weltweite Diskussion über die Kriegsführung der USA massiv befeuerte.
Von einem ordentlichen Gerichtsverfahren unterscheidet sich das Tribunal vor allem dadurch, dass weder Angeklagte noch ihre Verteidigung anwesend sind. Nach und nach ruft Gillessen Zeugen auf, die zunächst von Bisimwa und dann den Jury-Mitgliedern befragt werden. Das Publikum bleibt in einer rein passiven Zuschauerrolle und hat mehr als genug damit zu tun, die Flut an Detailinformationen zu verarbeiten, die meist auf Französisch, teilweise aber auch auf Englisch und Deutsch vorgetragen werden.
Einen echten Knochenjob haben die vier Dolmetscherinnen zu bewältigen, die sich auch von kleinen technischen Pannen nicht aus der Ruhe bringen lassen, und Gerichtsschreiberin Kathrin Röggla, die alle Befragungen in Echtzeit zusammenfasst und ins Netz stellt. Da sind kleinere Ungenauigkeitem schon mal verzeihlich, z.B. wenn sie bei den Staatsanwaltschaften Freiburg und Tübingen ins Schleudern kommt.
Stellvertretend für Knebelverträge und Rohstoff-Ausbeutungs-Exzesse durch multinationale Unternehmen wurde am Samstag Mittag der Fall eines kanadischen Unternehmens untersucht. Der Vorwurf lautet, dass sich das Unternehmen mit Unterstützung der Weltbank von der neuen Regierung in den Nachkriegswirren eines failed states maßgeschneiderte Verträge inklusive eines Rundum-Pakets aus Steuerbefreiungen schneidern ließ: der Profit wurde maximiert, die bisherigen Arbeiter entlassen, Anwohner umgesiedelt, versprochene Entschädigungen blieben aus.
Es ist aufklärerische Arbeit im besten Sinne, wenn Milo Rau, seine Mitarbeiter vom International Institute of Political Murder und die Jury den Betroffenen das Wort erteilen und Gehör verschaffen. Damit ist immerhin ein erster Schritt zur Aufarbeitung von Unrecht und Verstrickungen getan.
Auf rechtsstaatliche Verfahren werden die Betroffenen aber wohl noch weiter warten müssen: Miriam Saage-Maß erklärt in ihrer Zeugenaussage anschaulich, dass es im Völkerrecht noch häufig an einklagbaren Normen und einem ähnlich dichten Regularium mangelt, wie wir es aus dem Wirtschaftsrecht kennen.
Celine
Wo finde ich die Zusammemfassungen von Kathrin Röggla? Habe nichts gefunden im Netz.
Konrad Kögler
Liebe Celine,
die Texte von Kathrin Röggla sind hier zu lesen: http://www.the-congo-tribunal.com/?page_id=267
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