Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Einige Motive und dramaturgischen Mittel, die typisch für Inszenierungen von Dušan David Pařízek sind, nutzt der tschechische Regisseur hier besonders exzessiv: die Overhead-Projektoren, die Erinnerungen an Schulzeiten und Seminarräume aus Prä-Digital-Zeiten wach werden lassen, die spröden Betonwände, der völlige Verzicht auf Requisiten und das ständige Aus-, An- und Umziehen des Trios auf der Bühne. Dies macht „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ zu einer äußerst kargen Kost. Als minimalistisches Kammerspiel hat Pařízek die knapp zweistündige Romanadaption im Malersaal des Schauspielhauses Hamburg angelegt. Dass er auch ganz anders inszenieren kann, zeigte Pařízek zuletzt bei einem revuehaften „Peer Gynt“-Live-Stream mit Rockkonzert-Einlagen.

Der Abend erzählt von Ora (Ute Hannig), die in einer komplizierten Dreiecksbeziehung mit Avram (Markus John) und Ilan (Paul Herwig) steckt. Sie haben sich während des Sechstagekriegs 1967 in einer Quarantäne-Station kennengelernt und blicken nun auf die politischen und privaten Krisen der vergangenen Jahrzehnte zurück. David Grosssmans 2009 in deutscher Übersetzung erschienener Roman erzählt von einer Gesellschaft im Dauer-Krisen-Modus, von der Alarmstimmung an den Checkpoints, der Allgegenwart des Militärs, dem Zwangsdienst für alle jungen Erwachsenen in der Armee und von den tiefen Wunden, die dieser permanente Krisen-Zustand, in dem Phasen relativer Normalisierung mit brutalen Eskalationsspiralen wechseln, in den Seelen hinterlässt.

Overhead-Projektor und Paul Herwig

„Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ ist ein bedrückender, kleiner Abend, der von Ausweglosigkeit und vom Nicht-Wahrhaben-Wollen, in dem das Private und das Politische eng verknüpft sind. Als eine der letzten Premieren vor dem ersten Corona-Lockdown hatte das Kammerspiel im Malersaal Premiere, nur digital konnte die Arbeit anderthalb Jahre später bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen gezeigt werden. Intendant Olaf Kröck hätte den Autor David Grossman gerne zu einem Video-Nachgespräch eingeladen. Der Schriftsteller und Friedensaktivist lehnte leider ab. Sein Roman, die Bühnen-Umsetzung und die furchtbare Eskalation der vergangenen Tage sprechen für sich.

Bilder: Matthias Horn

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