König Lear

Eigentlich sollte „König Lear“ mit einem Ensemble aus hochkarätigen Gästen erst Anfang Oktober Premiere am Renaissance Theater haben. Aber da die Corona-Inzidenzen schneller als erwartet in den Keller rauschten und der Senat den Spielbetrieb Anfang Juni wieder zuließ, präsentiert Intendant Guntbert Warns die Inszenierung, bei der er auch Regie führt, in einer Serie von sogenannten „Sondervorstellungen“. Faktisch war die Premiere zwar zur Wieder-Eröffnung nach dem Lockdown am 6. Juni, offiziell findet sie erst am 1. Oktober statt.

Den meisten Zuschauern dürfte es aber herzlich egal sein, ob es sich nun um eine Premiere oder eine „Sondervorstellung“ handelt. Hauptsache, es wird wieder Theater gespielt! Warns suchte sich dafür einen Klassiker aus, den „Lear“ von Shakespeare, allerdings in der aktualisierten, komödiantisch zugespitzten und um manch süffig-derbe Pointe angereicherten Fassung, die Thomas Melle für die Eröffnung von Matthias Lilienthals letzter Spielzeit an den Münchner Kammerspielen schrieb.

am Boden: Jaqueline Macaulay, Katharina Thalbach, Catrin Striebeck, stehend: Matthias Mosbach, Moritz Carl Winklmayr, oben: Felix von Manteuffel

Melles Lear-Version rechnet mit einem alten Zausel ab, der den Kontakt zur Realität verloren hat und nur noch für die Follower und Abonnenten seiner Internet-Kanäle lebt. Donald Trump winkt hier natürlich mit dem Zaunpfahl herüber. Dass dem abgewählten US-Präsidenten so rasch der Saft auf Twitter abgedreht wird, hätten im Herbst 2019, als Melles Stückfassung an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde, wohl nur die wenigsten erwartet. Im Zentrum des Stücks steht aber weniger die Karikatur eines alten, weißen Mannes, den in der Berliner Inszenierung Felix von Manteuffel spielt, sondern ein mit strenger Hand und grausamer Brutalität regierendes Matriarchat. Hier setzte Warns gegenüber der Münchner Inszenierung von Stefan Pucher einen deutlich anderen Akzent: An den Kammerspielen waren Gro Swantje Kohlhof und Julia Windischbauer als Regan und Goneril ein aufgekratztes, rappendes Girlie-Duo. Ihre machtgeile Blutrünstigkeit wurde am Anfang durch die Aufbruchsstimmung nach dem Sturz des Patriarchats überdeckt. In Berlin lassen Catrin Striebeck und Jaqueline Macaulay keinen Zweifel, aus welchem Holz sie geschnitzt sind: sie sind genauso gierig und korrupt wie all die Exemplare toxischer Männlichkeit, die sie ablösen wollen. Sie kämpfen mit denselben Mitteln, ihr Gesichtsausdruck ist verbittert. Alles, was sie sagen, klingt harsch und zynisch.

Jaqueline Macaulay, Catrin Striebeck, Felix von Manteuffel, Michael Rotschopf

Der Fokus der Inszenierung auf diese beiden Frauen, die im Partnerlook auftreten, sorgt dafür, dass andere prominente Gäste an diesem Abend nur eine Nebenrolle spielen: Publikumsliebling Katharina Thalbach hat als Cordelia nur wenig Bühnen-Präsenz und auch Matthias Mosbach, der als „Baal“ an Claus Peymanns Berliner Ensemble eine Urgewalt war, wird von den beiden Herrscherinnen als Diener und Lustknabe schnell domestiziert.

Nach knapp drei Stunden ist das große Splatter-Finale erreicht, bei dem Warns und sein Ensemble noch mal auf die Kunstblut-Tube drücken und einem Abend, der in der zweiten Hälfte doch manche Längen hat, etwas Tempo einhauchen.

Bilder: Thomas Räse

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