„Auferstanden aus Ruinen“ schmettert uns zur Begrüßung entgegen. Die imposante Fassade des „Palasts der Republik“, der ganze Stolz der DDR-Nomenklatura, der damals als „Erichs Lampenladen“ verspottet wurde und dem HumboldtForum im Retro-Schloss-Nachbau weichen musste, ziert den Bühnen-Vorhang.
Was erwartet uns an diesem Abend im Gorki Theater? Liefert Ersan Mondtag wenige Tage nach der Wagner-Parodie im Berliner Ensemble nun einen Wohlfühlabend für DDR-Nostalgiker oder einen ironischen Blick zurück? Die klare Antwort lautet: weder noch! Aber wohin der Abend stattdessen will, wird lange nicht deutlich.
Als die Becher-Hymne verklungen und die Palast-Fassade zur Seite geschoben wurde, wird der Blick auf den beeindruckenden Pfauenthron von Nina Peller frei. Um ihn herum turnen und rappen die vier Spieler*innen Benny Claessens, Orit Nahmias, Kate Strong und Çiğdem Teke in einer Tanzchoreographie mit tollem Drive, die Rob Fordeyn aus der Dorky Park-Compagnie von Constanza Macras erarbeitet hat. Ganz am Ende variieren die Vier diese Choreographie noch einmal bei der Applausordnung, auch die „Palast de Republik“-Fassade wird erneut aufgegriffen.
In den zweieinhalb Stunden, die dazwischen liegen, spielt aber beides keine Rolle. Was wir stattdessen erleben, lässt sich am ehesten als Revue von Individualist*innen beschreiben, die mit einer Reihe Meta-Theater-Späßen garniert ist.
Der rote Faden dieses langen Mittelteils ist, dass die drei Frauen aus dem Ensemble in langen Soli autobiographische Traumata preisgeben müssen und eine anonyme Frauen-Stimme aus dem Off sie im Dieter Bohlen-Casting-Stil-Show in geschliffenem Englisch vorführt, verspottet und demütigt. Unterbrochen werden sie außerdem regelmäßig von der Inspizientin Berit Lass, die streng und bestimmt ihre Anweisungen gibt, sie wie Zirkuspferde dirigiert und rigoros Streichungen durchsetzt. Das ist zum einen natürlich eine Abrechnung mit autoritären Strukturen des Stadttheaterbetriebs. Zum anderen machen sich Ersan Mondtag und sein Team aber über ein Stilprinzip lustig, das seit Jahren viele Abende am Gorki Theater prägt: Regisseur*innen wie Yael Ronen und Falk Richter nutzen vermeintliche oder tatsächliche autobiographische Erfahrungen des Ensembles. In den besten Momenten bleibt in der Schwebe, was real und was nur gut erfunden ist. Diese Ausbeutung von Autobiographien, über die sich Mehmet Ateşçi, der ans Burgtheater wechselte, im #Actout-Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung beschwerte, wird von Mondtag und Co. persifliert. Orit Nahmias, eine zentrale Protagonistin dieses Stils, stöhnt, dass sie schlicht keine weiteren intimen Details mehr preisgeben kann, da das Gorki-Stammpublikum schon alle Anekdoten kennt. Und auch Benny Claessens spitzt zu, dass er die Geschichte über den Unfall-Tod seines Vaters nicht mehr so einfach erzählen kann, da der Rowohlt Verlag die Rechte daran hält, seitdem sie in Falk Richters „In my room“ eingeflossen ist.
Als Frau hinter der anonymen Regie-Stimme aus dem Off gibt sich schließlich Melanie Jame Wolf zu erkennen, die aus der Freien Performance-und Tanz-Szene bestens bekannt ist und in dieser illustren Gorki-Runde gastiert. Ihre Lecture über Demütigungen, die Künstler*innen täglich erleiden, ist dann schließlich das Vorprogramm zum Hauptact des Abends: Benny Claessens, diensthabende Diva des Stadttheater-Betriebs und ehemaliger Schauspieler des Jahres, macht sich in einem schier nicht enden wollenden, zum Teil improvisierten Solo über sich selbst, über den Abend und seine Längen, über die Theater-Webseite Nachtkritik, über das üppige, aber kaum ins Spiel einbezogene Bühnenbild, über die Gegner*innen von Gorki-Intendantin Shermin Langhoff und vieles mehr lustig. Balladen, die er sentimental anstimmt, zertrümmert er durch exzentrisches Hämmern in die Tasten. Mantra-artig wiederholt er den Stoßseufzer „Endlich wieder Theater“ voller Verbitterung und herrlich passiv-aggressiv. Immer wieder will er uns weismachen, dass heute sein letzter Auftritt auf einer Bühne ist, da er mit dieser Theaterwelt einfach abgeschlossen hat, zählt aber dann doch stolz auf, an welchen Projekten für die nächste Spielzeit mit Ersan Mondtag z.B. in Antwerpen und René Pollesch an der Voksbühne er arbeitet.
„It´s going to get worse“ ist eine unterhaltsam-schräge Revue von sehr eigenständig-individualistischen Künstler*innen, die anscheinend relativ gleichberechtigt an einem Abend arbeiteten, der ursprünglich schon im November 2020 zur Premiere kommen sollte. Parallel zum letzten Schliff vor der Uraufführung am 8. Juni arbeitete Mondtag noch an zwei weiteren Arbeiten. Diese hyperproduktive Dreifachbelastung des Regisseurs und der im Programmzettel betonte kollaborative Arbeitsstil von „Ersan Mondtag und Ensemble“ trugen sicher dazu bei, dass der Abend nicht aus einem Guss wirkt, sondern wie eine Nummernrevue hochtalentierter Künstler*innen, die sich ihrer Rampensau-Qualitäten bewusst sind. In dieser Spielzeit konnte vor der Sommerpause leider nur noch diese Premieren-Vorstellung von „It´s going to get worse“ disponiert werden, die knapp 100 Zuschauer*innen, darunter viele Kritiker*innen und zwei Senatoren, sehen konnten. Aber die Meta-Gags des Abends richten sich auch tatsächlich eher an ein Theaterblasen-Insider-Publikum.
Vorschaubild mit Kate Strong: Esra Rotthoff