Mehrfach musste diese große Produktion verschoben werden. Eigentlich wollte Thomas Ostermeier seine Adaption des ersten „Vernon Subutex“-Bands im Mai 2020 parallel zum Eröffnungswochenende des Theatertreffens präsentieren. Doch wegen Corona gab es nur eine digitale Not-Ausgabe des tt und musste der „Subutex“ auf den Herbst verschoben werden.
Ein vierstündiges barockes Spektakel, eine große Punk-Oper, sollte der „Subutex“ nun werden. Doch je näher der neue Premieren-Termin am 4. November 2020 rückte, desto klarer wurde: auch dieser Plan B wird nicht aufgetan. Wenige Tage vor der „Subutex“-Party wurde die gesamte deutsche Theaterlandschaft in den nächsten Lockdown versetzt, der jedoch nnicht wie anfangs von Politik und Medien vermutet nur einen, sondern sieben Monate dauerte und fast die komplette Spielzeit auffraß.
Anfang Juni 2021 war es endlich soweit: mit fransiger Zottel-Mähne und Clochard-Look schlurft einer der Stars der deutschsprachigen Theaterszene in den Saal A der Schaubühne. Vor Stahlkonstruktionen setzt er in seinem gemächlichen norddeutschen Sprech-Singsang an und erzählt aus dem Leben eines Plattenhändlers, der in der neuen Zeit von Spotify und Amazon nicht angekommen ist und völlig durch das soziale Netz fällt.
Aber nicht nur das soziale Netz geht zu Bruch, auch der ganze mit vier Stunden viel zu lange Abend hat einen Konstruktionsfehler. Der regieführende Intendant Thomas Ostermeier setzt über weite Strecken ganz auf seinen Hauptdarsteller, der ihm diesen Romanstoff auch vorgeschlagen haben soll. Doch eine Hauptfigur, die larmoyant auf Nina Wetzels Drehbühne nur um sich selbst kreist, kann keinen unterhaltsamen Theaterabend stemmen. Ungemein statisch schleppt sich die brave Roman-Nacherzählung dahin, wie auf Valium wirken die ersten beiden Stunden bis zur Pause. Als Hörbuch für Menschen mit Einschlaf-Problemen könnte dieser enttäuschende Theater-Abend wertvolle Dienste leisten. Dann müsste man allerdings die Einsätze der Live-Band rausschneiden, die die Selbstbespiegelung der „sonoren Plaudertasche“, wie taz-Kritikerin Eva Behrendt den Subutex von Meyerhoff charakterisiert, zuverlässig jede Viertelstunde mit lautem Indie-Rock oder Punk unterbricht, um wenigstens etwas Energie in die fade Inszenierung zu pumpen.
Schon in der ersten Hälfte sind es vor allem die Frauen in den Nebenrollen, die in all dieser Tristesse aus schlurfendendem Monolog und eintönigem Punk-Rock kleine Farbtupfer liefern: Stephanie Eidt spielt Sylvie, die Karikatur einer Pariser Läster-Bitch, Julia Schubert zieht als Emilie in ihrem Ekel über alternde, nackte Männerkörper her, während Meyerhoff in Unterhose wie ein Häuflein Elend kauert. Eidt gehört zu den langjährigen Weggefährtinnen von Ostermeier und war schon bei seiner Norén-Eröffnungs-Inszenierung „Personenkreis 3.1“ im Jahr 2000 dabei, Schubert kam vom Schauspiel Dortmund nach Berlin und spielt ihre erste Rolle an der Schaubühne.
Nach der Pause übernimmt glücklicherweise Ruth Rosenfeld das Ruder, die man an der Schaubühne viel zu selten erlebt. Sie verstärkt die dreiköpfige Männer-Combo (Henri Maximilian Jacobs, Taylor Savvy, Thomas Witte) als Frontfrau. Es wird nicht nur musikalisch abwechslungsreicher, sondern mit ihrer Pamela Kant-Ex-Porno-Star-Figur kommt auch eine weitere schräge Frauen-Type aus dem Virginie Despentes-Roman-Kosmos auf die Bühne.
Die letzte Stunde verflacht wieder zusehends: wie Stefan Pucher in seiner Münchner Kammerspiele-Inszenierung setzt auch Ostermeier nun auf eine Nummernrevue. Bastian Reiber spult als koksender Kiko sein bewährtes Comedy-Repertoire ab, für weitere Nebenrollen wurden Henri Maximilian Jakobs (auch als Bassist in der Live-Band) und Mano Thiravong engagiert, die zwar hohe Authentizität, aber keine Schauspielausbildung haben. Meyerhoffs „Subutex“ kehrt erst ganz am Ende wieder auf die Bühne zurück. Wenige Minuten vor Mitternacht ist es bereits, als er zu einem letzten Schlussmonolog eines enttäuschenden Abends ansetzt.
Bilder: Thomas Aurin
ABuena
Wenn man schreibt „enttäuschend“, dann gab es doch etwas, das erwartet wurde und nicht da war, oder? Welche Erwartung wurde denn enttäuscht? Subutex ist ein Roman, der neu ist in seiner Sprachkunst, Despentes wurde in die Académie Française gewählt für diese Neuerfindung. Ich fand an Subutex irre gut, wie Despentes in verschiedenen Modi verschiedene Personen mit sich selbst reden lässt. Vielleicht funktioniert Despentes‘ Text also besser als Lektüre als als Aufführung. Clochards haben in Paris ein besseres Ansehen als die vielfach als Penner bezeichneten Obdachlosen bei uns, oder?
Konrad Kögler
Ich habe bisher drei Inszenierungs-Varianten der Roman-Vorlage gesehen: live in München und Berlin, als Stream aus Graz. Richtig überzeugt hat mich keine der drei Aufführungen. Dieses Panorama sehr diverser Figuren, das Sie beschreiben, ist sicher die Stärke des Romans. In Graz und München gelang es noch einigermaßen gut, aus dieser Figuren-Konstellation eine unterhaltsame Revue zu machen. Aber auch hier ging viel verloren. Die Berliner Variante hat mich am meisten enttäuscht, da sie zu statisch ist und zu sehr auf die Hauptfigur fokussiert.