Der endlose Sommer

In einem stillen, melancholischen Theaterfilm erzählt Lucia Bihler, wie die AIDS-Pandemie in den 1980er Jahren die Lust und Leichtigkeit einer freieren Sexualität beendete. Die androgyne Autorin und Performerin Madame Nielsen erzählt in ihrem Roman „Der endlose Sommer“ von der ersten Liebe und dem Dahinsiechen des „schönen Lars“ (Nicolas Lehni), dessen Tod seine Cousins als gerechte Strafe für sein „sündiges“ Leben sehen.

Madame Nielsen ist auch ganz klar das Zentrum dieses knapp einstündigen Films, den das Schauspiel Köln produzierte, während einige andere Bühnen schon mit Vollgas in die analoge Rest-Spielzeit starten. Mit eingefallenen hohlen Wangen wirkt sie sehr abgekämpft und ausgemergelt. Mit sanfter Tonlage und dänischem Akzent erinnert sie sich an die Gefühle des schüchternen Jungen, der sie damals war, und ist zugleich der ruhende Pol, zu dem Rosanna Grafs Videokonzept immer wieder zurückkehrt.

Ihr Alter ego spielt Yuri Englert aus dem Kölner Ensemble, der mit großen Augen beobachtet, wie die anderen Figuren flirten, sich räkeln und etwas zu platt symbolisch reife Früchte so lange quetschen und pressen, bis der Saft herausspritzt. Überraschend ist, dass sich Lucia Bihler in dieser ersten Kölner Arbeit sehr zurücknimmt. Ihre letzten Inszenierungen litten oft an einem zu viel: ihre „Hedda Gabler“ am Münchner Volkstheater wurde zum quietschbunten Barock-Girlie, ihre Iphigenie-Überschreibung an der Volksbühne, wo sie während der glücklosen Interims-Intendanz von Klaus Dörr als Hausregisseurin auch keine positiven Akzente setzen konnte, verkam zu banalem Klamauk, am interessantesten ist ihr stark stilisierter Zugriff auf Thomas Bernhards „Die Jagdgesellschaft“ am Wiener Akademietheater, wo sie den großen Martin Schwab und das restliche Ensemble in rote Latex- und Fetisch-Klamotten steckte.

Bei „Der endlose Sommer“ nimmt sich Lucia Bihler zurück und setzt ganz auf den Text, dessen melancholischer Ernst in diesem kurzen, fast skizzenhaft wirkenden Online-Projekt gut zur Geltung kommt.

Filmstill-Triptychon mit Madame Nielsen (links und rechts) und Yuri Englert (Mitte): Schauspiel Köln

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert