Iphigenie – Traurig und geil in Taurerland

In zwei Teile zerfällt diese Eröffnungs-Inszenierung der Volksbühnen-Spielzeit, die sich der Umdeutung antiker Stoffe widmen möchte.

Die erste Stunde schleppt sich als recht zähe Nacherzählung des Mythos der Iphigenie dahin, der von Euripides bis Goethe von diversen alten, weißen Männern in Tragödien des Bildungsbürgerkanons verarbeitet wurde. Dass sich eine junge Frau so widerstandslos in die Rolle eines Opferlamms fügt, fordert selbstverständlich Widerspruch heraus und ist nicht nur Feministinnen kaum noch vermittelbar!

Regisseurin Lucia Bihler und ihre Co-Autorin Teresa Schergaut, die auch Teil des rein weiblichen Schauspielerinnen-Septetts ist, bürsten den Iphigenie-Klassiker sanft gegen den Strich. Die Kriegshelden Agamemnon (gespielt Susanne Wolff, die lange in den Ensembles des Thalia Theaters Hamburg und Deutschen Theaters Berlin glänzte und sich seit seit 2016 auf Gast-Engagements und den Film konzentriert) und Menelaos (Emma Rönnebeck) sind zaudernde Würstchen, die nur damit beschäftigt sind, ihre eigene Haut zu retten und in mancher Slapstick-Szene schon mit den kleinsten Aufgaben des Alltags überfordert sind.

Der sattsam bekannte Iphigenie-Stoff wird in dieser ersten Stunde des Abends jedoch zu sehr ausgewalzt. Statt der erwarteten Pointierung und feministischen Zuspitzung erleben wir eine weitere Ausgabe recht statischen Corona-Theaters. Zudem leidet die Textverständlichkeit darunter, dass die drei Live-Musikerinnen die Dialoge übertönen und manche Sätze zu leise im weiten Rund der Volksbühne verhallen.

In der zweiten Stunde verschwindet die griechische Tempelanlage, die Jana Wassong gebaut hast, und ein fünfköpfiger Frauen-Chor im weißen Brautkleid spricht Callcenter-Monologe der österreichischen Autorin Stefanie Sargnagel. Anders als in der antiken Vorlage wird Iphigenie nicht zur frommen Priesterin im Tempel der Artemis, sondern zu einer qualmenden, fluchenden Frau, die es in der Sex-Hotline mit notgeilen oder einfach nur überforderten Männern zu tun bekommt.

Die eine oder andere Pointe dieser zweiten Hälfte sitzt, aber auch hier fehlen dramaturgischer Schliff und Timing. Der zweite Teil hat das Format eines soliden Comedy-Abends auf einer Kleinkunstbühne. Die Motive, an denen sich Sargnagel in ihren kurzen Posts abarbeitet, wie z.B. das Schönheitsdiktat finden sich in jedem zweiten feministischen Kabarett-Programm.

Susanne Wolff schwimmt innerhalb des Ensembles mit, kann dem Abend aber keinen eigenen Stempel aufdrücken. Damit hat sie es aber noch besser getroffen als der zweite Star des Abends: Jella Haase, die auf der Berlinale Erfolge mit „Berlin Alexanderplatz“ und „Kokon“ feierte, verkümmert in der Statistinnenrolle der Hekate, die sie sich mit Amal Keller teilt.

Für den 3. Stock, in dem Lucia Bihler vor einem Jahr mit „Final Fantasy“ an der Volksbühne debütierte, wäre dieser Hybrid aus Antiken-Übermalung und Comedy noch ok., für den Einstand der Hausregisseurin auf der Großen Bühne ist dieser „Iphigenie“-Abend zu banal und leichtgewichtig.

Bild: Katrin Ribbe

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