Ein interessantes Konzept haben sich Massimo Furlan, der als Conferéncier auch live auf der Bühne steht, und seine Dramaturgin Claire de Ribaupierre ausgedacht: „European Philosophical Song Contest“ will zum einen das Casting-Show-Unwesen parodieren und eine Hommage an den European Song Contest sein, der jährlich im Mai stattfindet. Zum anderen feiert die knapp zweistündige Revue die Werte einer weltoffenen, toleranten, paneuropäischen Gesellschaft, die Victor Orbán in dieser Woche mal wieder besonders skrupellos mit Füßen tritt.
Wenn schon die Staats- und Regierungschefs der EU nicht so recht wissen, wie sie mit Orbán umgehen und die Werte der offenen Gesellschaft verteidigen sollen, ist es lobenswert, dass das Festival „Theater der Welt“ hier Nachhilfe-Unterricht anbietet. Elf Songs wurden für diese Show komponiert, die sich mal ausdrücklich auf antike Denker wie Thales von Milet oder Zenon beziehen, mal zeitgenössische Philosoph*innen wie Giorgio Agamben oder die derzeit im Theater allgegenwärtige Donna Haraway zitieren. Musiker*innen und Sänger*innen von der Musik-Hochschule in Fribourg/Schweiz performen die gefälligen Songs, die im Konsens-Pop-Stil des ESC vor sich hin plätschern, niemand weh tun, aber schnell vergessen sind und in oft blumiger Bildsprache europäische Werte beschwören.
Nach jedem Song kommt die lokale Jury ins Spiel: André Kaczmarczyk, Aushängeschild des Ensembles des Düsseldorfer Schauspielhauses, der Musiker Mayo Velvo, die Düsseldorfer Regierungspräsidentin Birgitta Radermacher (CDU) und die Studentin Miriam Owusu-Tutu, Gründungsmitglied des Kollektivs „Schwarzes Haus“, das in den vergangenen Wochen in der Affäre um Armin Petras und Ron Ighiwiyisi Iyamu überregionale Aufmerksamkeit bekam, diskutieren über die Songs und vergeben Noten auf einer Skala von 1-10. Die Songtexte, die für sich sprechen, werden von diesem vor sich hin philosophierenden Quartett breitgetreten. Auch Regine Müller fand das teils weitschweifige ‚Ich-finde-irgendwie‘-Idiom der Jury ihrer taz-Festival-Bilanz ermüdend. Viel zu lang dauert dieser Part, der fast jedesmal von der Co-Moderatorin Anna Schudt, unterbrochen werden muss. Die Dortmunder „Tatort“-Kommissarin hat nicht recht viel mehr zu tun, als alle Songs toll zu finden, die Jury zur Einhaltung der Redezeit zu ermahnen und den nächsten Show-Act gemeinsam mit Massimo Furlan anzukündigen, was aber meist auch nur wie eine routinierte Pflichtübung wirkt.
Der Live-Stream aus dem Düsseldorfer Schauspielhaus, der parallel zum EM-Vorrundenspiel Deutschland-Ungarn stattfand, war die letzte Station einer Tournee durch Europa, die 2019 in Lausanne begann und mit Ausnahme von Milo Raus NT Gent meist an Häuser führte, die weniger im Rampenlicht stehen.
Bilder: Laure Ceillier und Pierre Nydegger