Vor mir der Süden

Zweierlei ist Pepe Danquarts „Vor mir der Süden“: zum einen eine Hommage an den italienischen Regisseur und Schriftsteller Pier Paolo Pasolini, zum andern ein Stimmungsbild der aktuellen Lage Italiens.

1959 reiste Pasolini im Auftrag eines italienischen Magazins einmal an den Küsten des Stiefels entlang: er fuhr mit seinem Fiat Millecento von Ventimiglia bis nach Sizilien und auf der anderen Seite wieder hoch bis Triest und notierte seine Eindrücke: von einem Land, das damals nach dem Mussolini-Faschismus in einen Konsumrausch taumelte, das zum Anziehungspunkt für – zumeist deutsche – Touristen wurde, die an den Stränden von Jesolo oder Rimini wie die Ölsardinen lagen und bruzzelten und von einem Land in Armut, aus dem viele als sogenannte „Gastarbeiter“ in nord- und mitteleuropäische Länder zogen.

Sechs Jahrzehnte später machte sich Pepe Danquart mit seinem Kameramann Thomas Eirich-Schneider auf dieselbe Route. Die Filmemacher nehmen sich angenehm zurück, zeigen nur unkommentiert ihre Eindrücke: beginnend bei der Autobahnbrücke in Genua, die zum Krisensymbol wurde, machen sie sich auf den Weg. Ulrich Tukurs Stimme liest aus dem Off Passagen aus Pasolinis Reiseberichten. Oft treffen sie Menschen, denen Pasolinis Werk noch etwas bedeutet oder alte Weggefährten von ihm. In Ostia rätseln ihre Gesprächspartner über die Umstände seines Todes, der auch der Ausgangspunkt von „Eine göttliche Komödie. Dante – Pasolini“, einer der eindrucksvollsten Theaterinszenierungen der vergangenen Jahre, war.

Zwei Leitmotive ziehen sich durch dieses dokumentarische Road-Movie: die Flüchtlingskrise, bei der Italien als Außenposten der „Festung Europa“ zur ersten Anlaufstelle derer wird, die es über das Mittelmeer schaffen. Viele ziehen weiter nach Norden, manche richten sich in bescheidenem Wohlstand ein und bauen sich ein neues Leben, andere schlagen sich in den Notunterkünften ohne Perspektive durch. Der zweite Erzählstrang ist Italien als Ort des Massentourismus: verblasste Schönheit in Rimini, das unter dem Ausbleiben der früheren Massen leidet, oder das heillos überlaufene Venedig, in dem die Einheimischen kaum noch eine Wohnung finden und das zur Kulisse der Tagesausflüge der Kreuzfahrt-Touristen wird. Besonders eindrucksvoll ist das Bild der Massen, die sich in Capri im Gänsemarsch aneinander vorbeischieben. Unkommentiert ist auch diese Szene. Aber manche Bilder sagen auch mehr als 1.000 Worte.

„Vor mir der Süden“ kam zur Wieder-Eröffnung am 1. Juli 2021 in die Kinos.

Bild: Neue Visionen Filmverleih

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