Ein Zwiespalt ist dieser dreistündigen Inszenierung deutlich anzumerken. Die Regisseurin Daniela Löffner stand vor der Herausforderung, wie sie mit Gerhart Hauptmanns Drama „Einsame Menschen“ aus dem Jahr 1870 umgehen soll. Das Stück eins zu eins nachzuspielen, ist im 21. Jahrhundert keine ernsthafte Option. Zu sehr aus der Zeit gefallen wirken die Rollenbilder. Doch auch eine radikale Überschreibung ist Daniela Löffners Sache nicht: sie steht für ein feinfühliges Theater, das die Vorlage ernst nimmt. Ihre „Väter und Söhne“-Inszenierung am selben Ort, die ins Russland des 19. Jahrhunderts eintauchte, machte sie bekannt und wurde 2016 zum Theatertreffen eingeladen.
Was also tun? Zum Glück folgt Löffner nicht dem modischen Vorbild von Simon Stone, der alte Stoffe meist zu platten Soaps entkernt. Aber auch sie greift an zentraler Stelle in den Hauptmann-Text an: Johannes Vockerat, der grübelnde Schriftsteller in der Sinnkrise (Marcel Kohler), verliebt sich nicht in eine junge Studentin namens Anna Mahr, sondern in Arno Mahr (Enno Trebs), einen Professor für feministische Zukunftsforschung, der zwischen Stanford und Zürich pendelt.
Die Regisseurin wählte einen Mittelweg: vorsichtige Aktualisierung, im Wesentlichen bleibt das Hauptmann-Drama in der Textfassung, die die Regisseurin erstellt hat, aber doch erhalten. Das Ergebnis dieses Mittelwegs ist jedoch, dass der Abend zögerlich wirkt, über weite Strecken nicht vom Fleck kommt und im Zwiespalt der Regisseurin stecken geblieben ist. Vor allem bis zur Pause ist der Abend zäh, auf Wolfgang Menardis Bühne entfaltet sich ein Wortgeplänkel, das unentschieden und ziellos wirkt.
Wie ein Paukenschlag erschüttert dann allerdings die zentrale Szene des zweiten Teils den Abend: Vockerat und Mahr, zwischen denen es bis dahin kaum knisterte, fallen in einer großen, ungewöhnlich langen Liebesszene übereinander her, wie man sie auf den Bühnen selten sieht. Beeindruckend, wie Marcel Kohler und Enno Trebs es schaffen, dass diese Szene nie peinlich oder softpornographisch wirkt, sondern als Choreographie intensiven Begehrens eindrucksvoll gelingt. Nur die allzu penetrante Wasser-Metapher, die sich bis zum finalen Suizid Vockeraths im Müggelsee, durch den Abend zieht, stört an dieser Stelle.
In zwei Teile zerfällt dieser Abend in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin. Denn nach dieser zwanzigminütigen, mutig-sinnlichen Bravour-Leistung von Kohler und Trebs fällt der Abend wieder in seine Unentschiedenheit zurück.
Bilder: Arno Declair
Stagefan
Im Rückblick ist es eigentlich eine Inszenierung auf durchschnittlichem Stadttheaterniveau. Wäre da nicht… ja, wäre da nicht diese explizite und intensive Nackt- und Liebesszene. Wohl die graphischste, die ich je auf einer Bühne gesehen habe. Und dann auch noch ganz diversity-konform zwischen zwei Männern. Von dieser Inszenierung wird mir vor allem im Gedächtnis bleiben, wie Kohler und Trebs nach der Pause ihre Zuneigung, Leidenschaft und Erotik füreinander aufbauen und ausleben. Löffner geht dabei an die Grenze dessen, was auf einer Bühne noch darstellbar ist. Mit Kohler und Trebs hat sie zwei mutige Schauspieler, die beim Liebesspiel ebenfalls persönliche Grenzen auszuloten scheinen, wie weit sie im Theater gehen können oder wollen. Der intimste und ehrlichste Theatermoment, den ich je auf einer Bühne gesehen habe, war der, als man beim splitternackten Enno Trebs seine aufkommende sexuelle Erregung deutlich erkennen konnte. Da hier dann wohl die Grenze des Darstellbaren auf der Bühne verläuft, zog er zwar zügig seine Unterhose an, um es zu kaschieren, aber das war für mich ein Theatermoment, der an Ehrlichkeit und Authentizität nicht zu toppen war. Hier war Theater dann keine Illusion mehr sondern Realität. Von daher Chapeau an diese beiden großartigen Darsteller für so viel Privates, Persönliches und Intimes in dieser Inszenierung.