Kaum ein Haus wurde von der Omicron-Welle so hart getroffen wie das Deutsche Theater Berlin. An manchen Abenden mussten die Vorstellungen auf allen drei Spielstätten ausfallen. Dank Improvisationskunst und großem Einsatz aller Beteiligten konnten aber viele Abende gerettet werden. Legendär ist bereits das kurzfristige Einspringen von Linda Pöppel bei Andreas Kriegenburgs „Michael Kohlhaas“. Und auch die gestrige Vorstellung von Kleists Lustspiel „Der zerbrochne Krug“ konnte nur dank einer Idee von Regisseurin Anne Lenk und dem guten Draht von DT-Intendant Ulrich Khuon zu seiner langjährigen Chefdramaturgin Sonja Anders stattfinden, die seit 2019 das Schauspiel Hannover leitet.
Für die erkrankten Lisa Hrdina (Eve) und Tamer Tahan (Rupprecht) sprangen Tabitha Frehner und Kaspar Locher ein, die diese Rollen in einer Hannoveraner Repertoire-Inszenierung von Lisa Nielebock spielen. So war ihnen der Kleist-Text immerhin schon präsent, in die Berliner Inszenierung mit anderen Laufwegen, Auf-und Abtritten mussten sie sich dennoch innerhalb kurzer Zeit einarbeiten.
Charakteristisch für Anne Lenks Inszenierung, die am 4. Advents-Wochenende in Berlin Premiere hatte und mehrfach von den erwähnten Ausfällen betroffen war, ist das Stilleben von Jan Davidsz van Heem aus dem 17. Jahrhundert, das im Zentrum der Bühne prangt. Dieses Gemälde könnte man auch als ironische Reaktion der Regisseurin zu den Vorwürfen lesen, die ihre bisherigen Klassiker-Inszenierungen „Der Menschenfeind“ und „Maria Stuart“ als altmeisterlich beschrieben.
Das Ensemble nimmt auf einer schmucklosen Reihe von Stühlen Platz, die wie im Wartesaal eines Bürgeramts aufgereiht sind. Das gesamte Ensemble trägt Oranje, die Kostüme von Sibylle Wallum sind ganz auf Komödie getrimmt. Ulrich Matthes windet sich wunderbar komisch und sehr spillerig als fintenreiches Wrack toxischer Männlichkeit in der Rolle des übergriffigen Dorfrichters Adam, Jeremy Mockridge spielt den Schreiber Licht mit hässlichem Schnauzer und aufgerissenen Augen, während er dienstbeflissen alle Aussagen in die alte Schreibmaschine hackt. Erst auf den zweiten Blick ist Franziska Machens als biedere, über den zerbrochnen Krug ganz aufgebrachte Hausfrau Marthe Rull zu erkennen.
Ein Markenzeichen von Anne Lenks Regie-Stil ist, dass sie nah am Original-Text bleibt, nur sanfte, häufig feministische Aktualisierungen zulässt. Aus dem Gerichtsrat Walter, der im korrupten Provinznest Huisum für Ordnung sorgen soll, wird hier eine schwangere Gerichtsräten: Lorena Handschin spielt diese Rolle mit Autorität und mütterlicher Strenge gegen die ungezogenen Männer, die ihr etwas vorspielen wollen.
Mit diesem dezent modernisierten Lustspiel-Klassiker trifft das DT offensichtlich einen Nerv des von Pandemie und Krieg in Osteuropa geplagten Publikums: in den 90 Minuten wird über die altbekannte Geschichte, die von dem Ensemble handwerklich souverän geboten wird, viel gelacht. „Der zerbrochne Krug“ ist eine sichere Bank im Repertoire, die Vorstellungen regelmäßig ausverkauft.
Tatsächlich gehört Lenks „Der zerbrochne Krug“ zu den besseren Arbeiten einer bisher an Höhepunkten armen, von Corona überschatteten Spielzeit auf Berlins Bühnen. Zum Theatertreffen wurde die Regisseurin aber nach „Der Menschenfeind“ und „Maria Stuart“, obwohl sie wieder in der Jury-Diskussion war, nicht eingeladen, so dass es nicht zum tt-Hattrick reichte. Dafür war der unterhaltsame Abend doch zu bieder und nicht außergewöhnlich oder bemerkenswert genug.
Bild: Arno Declair