Konzeptionell ist Kaouther Ben Hanias „Der Mann, der seine Haut verkaufte“ interessant gedacht. Die tunesische Regisseurin und Drehbuchautorin startet ihren Plot als Sozialdrama im syrischen Bürgerkrieg: Sam Ali (Yahya Mahayni) liebt Abeer (Dea Liane), doch die politischen Verhältnisse sind gegen diese Verbindung.
Abeer bringt sich rechtzeitig vor Ausbruch des Bürgerkriegs, der in Syrien so verheerend wütete, nach Brüssel in Sicherheit, wo Adel Saadi (Husam Chadat) lebt, der als gute Partie und Botschaftsmitarbeiter von ihren Eltern für sie ausgesucht wurde. Ali strandet wie so viele andere im Libanon, die Festung Europa bleibt ihm verschlossen. Denn er hat den falschen Pass und nicht die nötigen Beziehungen oder das Kleingeld für ein Visum.
In einem mephistophelischen Pakt kommt der Künstler Jeffrey Goedefroi (Koen de Bouw) ins Spiel. Er schlägt ihm einen Deal vor: der junge Syrer bekommt ein Visum auf den Rücken tatöwiert und wird damit zum Kunstobjekt, das von Galerie zu Museum reisen darf. Die Details regelt seine nicht weniger durchgeknallte Assistentin Soraya (Monica Bellucci als Stargast dieser kleinen Indiekino-Produktion).
Inspiriert von einer wahren Geschichte gelingt Ben Hania hier eine sehr interessante Metapher zum Elend der Flüchtlinge: Es gab tatsächlich den Fall des Schweizers Tim Steiner, der seine Haut verkaufte, sich vom Belgier Wim Delvoye tätowieren und als Ausstellungsobjekt tätowieren ließ. Mit ein paar zynisch-bösen, aber treffenden Sätzen kommentiert der fiktive Künstler im Film sein Konzept, wie er die Notlage des Kriegsflüchtlings ausnutzt und ihm die einzige Chance auf eine legale Einreise nach Europa bietet, ohne den lebensgefährlichen Weg auf Schlepper-Routen gehen zu müssen.
Im zweiten Teil wandelt sich „Der Mann, der seine Haut verkaufte“ zu einer Satire auf die Absurditäten des Kunstbetriebs, die in einer farcehaften Auktion des Objekts Sam Ali mündet und an Ruben Östlunds „The Square“ erinnert.
An Ideen mangelt es dem Film nicht, aber Ben Hanias Drama/Satire-Hybrid wirkt in der Umsetzung noch zu behäbig und unentschlossen, so dass das Konzept am Ende nicht so gut aufging, wie es auf dem Papier klang. „The Man, who sold his skin“ war trotzdem eine Überraschung des Pandemie-Jahres: in der renommierten „Orizzonti“-Reihe in Venedig wurde Yahya Mahayni als bester Hauptdarsteller im Sommer 2020 ausgezeichnet, im Frühjahr 2021 schaffte es der tunesische Beitrag auf die Short-List des Oscars für den besten fremdsprachigen Film, der allerdings an Thomas Vinterbergs „Der Rausch“ ging.
Am 24. Februar 2022 startete „Der Mann, der seine Haut verkaufte“ in einigen Programmkinos.
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